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Wenn auch das Essen am Abend vorher
wenig von einem Arbeitsessen gehabt hatte: das Frühstück am nächsten
Morgen in Kaylas Hotelsuite war ganz Arbeit. Von dem Zeitpunkt an, an dem
sie ihn mit einem trockenen Kuß und einem lobenden Lächeln geweckt
hatte, war sie eine andere Frau als am Abend zuvor. Sie schüttelte
den Alkohol und ihre Zuneigung mit einer Geschicklichkeit ab, die Heller
nur bewundern konnte.
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«Ich hatte den Eindruck, daß
das gut gelaufen ist», sagte er.
«Ja», meinte Kayla. «Aber dann ist da die Aufnahme mit dem <Haus der Zukunft> und all den computerisierten Spielereien darin. Ich glaube eigentlich, daß das ziemlich albern ist. Wem macht es denn schon wirklich viel aus, das Licht selber anzudrehen und den Thermostat einzustellen? Aber genau da erklären Sie die Mikrocodierung so gut. Das sollten wir dann doch drinbehalten. » Eine Aufnahme auf der Liste hatte sie nicht gekennzeichnet. «Was ist hiermit, mit der Aufnahme, in der ich die UlM erkläre? »fragte er. «Die UlM?» «Die Ultra-Intelligente Maschine. » «Ach ja. » Kayla überlegte, dann schüttelte sie entschieden den Kopf. «Ich glaube nicht, daß das so gelungen ist. Sie haben es wirklich ein bißchen zu bedrohlich dargestellt - daß Computer intelligenter werden als Menschen und so. Wenn Sie mich fragen: es ist keine gute Reklame für Sie, das so im Detail zu erklären - nicht einmal, wenn Sie es Kindern erklären. » «Ich muß ihnen Recht geben», sagte Heller, «ich hatte nicht bemerkt, daß ich es so ausführlich gemacht habe.» Sie lächelte trocken. «Sie haben einen Hang dazu, sich fortreißen zu lassen. Nicht viele Leute möchten die menschliche Rasse als etwas betrachten, was durch Metallschachteln ersetzt werden wird, ganz egal, wie intelligent diese Schachteln sind. » |
Nervös geworden lenkte Heller
ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Zusammenstellung vor ihnen. «Gut
also. Und was ist mit SHERLOCK?»
«Oh, SHERLOCK lassen wir auf jeden Fall drin. Ich wollte es sogar ans Ende tun. Das ist der Ehrenplatz. » Heller war erstaunt über diese Entscheidung. «Wirklich? Weswegen?» «Erinnern Sie sich nicht? Na, warten Sie, Sie werden es sehen.» Später am Tag, wieder im Vorführraum, zeigte Kayla Heller die Aufnahme noch einmal. Heller erinnerte sich daran, daß er diesen Teil des Programms dazu benutzt hatte, zu erklären, was ein Programm ist, und um die Unterschiede zwischen Hardware- und Software-Programmen zu verdeutlichen. Programme wie SHERLOCK waren Software, die Instruktionen und die Logik, die einem Computer befahlen, was er zu denken hatte und wie er darüber nachzudenken hatte. Bei diesem Spiel handelte es sich um ein Programm, das den Kindern erlaubte, die Alltagsarbeit eines Polizeiinspektors zu simulieren. Das Spiel endete damit, daß die Kinder zusahen, wie ihre persönlichen Daten in den Fahndungscomputer des Hirns eingegeben wurden. Wie Heller erklärte: |
«Wenn ihr heute hier fortgeht,
wird das Hirn alles Mögliche über euch wissen. Wir werden es
hier in diesem Computer gespeichert haben. Er wird eure Namen wissen und
wo ihr wohnt und in welche Schule ihr geht, und er wird sogar wissen, welche
Noten auf eurem letzten Zeugnis stehen, wir werden ihm eure Bilder geben
und eure Fingerabdrücke. Und er wird wissen, wie sich eure Stimmen
anhören. Er wird diese Daten neben denen einordnen, die er schon von
euren Vätern und Müttern und von euren ganzen Familien hat -alles
auf einem kleinen Chip, nur so groß, seht ihr? Woraus ist der wohl
gemacht? Ratet mal. Sand. Ihr habt richtig hingehört:
Sand! Oder Silicon, wie wir sagen. Und das Hirn wird euch eure eigene Sozialversicherungsnummer geben, die ihr euer ganzes Leben lang behalten könnt. Und wenn ihr jemals verlorengeht oder krank werdet, wird der Computer der Polizei oder dem Arzt helfen, herauszufinden, was sie wissen müssen. » Ein kleiner Junge fragte: «Wenn ein kleines Kind verlorengeht, könnte das Hirn helfen, es zu finden?» «0 ja, es kann helfen, es zu finden», antwortete Dr. Heller. «Das Hirn hat schon dabei geholfen, viele kleine Kinder zu finden. » |
«Und wenn ein Kind gekidnappt
wird, könnte das Hirn auch helfen, es zu finden? » fragte der
Junge wieder.
«Das Hirn kann helfen. » wiederholte Dr. Heller. «Es kann zum Beispiel der Polizei sagen, wer der Kidnapper ist. Es kann vielleicht seine Fingerabdrücke wiedererkennen, oder seine Stimme am Telefon. Das Hirn hat die Übersicht über sehr, sehr viele schlimme Menschen. Wißt ihr, dies ist der Platz, an dem die Polizei ihre Daten über Kriminelle aus ganz Amerika aufbewahrt. » Ein anderes Kind meldete sich: «Weiß das Hirn, wer unseren Fernseher gestohlen hat? » «Nun, es könnte es wissen. Vielleicht ist der Name des Diebes hier irgendwo gespeichert, wenn er schon einmal etwas gestohlen hatte und dabei erwischt wurde. » «Und warum fängt das Hirn ihn dann nicht und sorgt dafür, daß wir unseren Fernseher zurückbekommen?» wollte das Kind wissen. «Das Hirn kann niemanden fangen», erklärte Heller. «Das muß die Polizei machen. Das Hirn denkt für die Polizei, wißt ihr? Es ist wie ein Detektiv. Eines Tages wird es das klügste Hirn der Welt sein, wenn wir erst mal alle Daten drin haben und alle Wanzen draußen *, was noch eine Weile dauern wird. Weil auch die intelligentesten Computer der Welt immer noch häßliche kleine Wanzen in sich drin haben. » * Wanzen: Synonym für technische Mängel, d. Übers. |
Plötzlich kam außerhalb
des Bildes ein kleiner, scharfer Schreckensschrei: « Oh! »
Hellers Fernsehgesicht unterbrach seine Rede, ein Stirnrunzeln überzog
sein Gesicht.
Als Heller seine Reaktion auf dem Bildschirm betrachtete, erinnerte er sich wieder an den Zwischenfall, er wußte aber nicht, was davon gefilmt worden war. Er sah sich selbst zu, wie er erstaunt zusammenfuhr und fragte: «Was?», während er vor sich auf die zwei Dutzend Kinder sah, die auf dem Fußboden verteilt saßen. Die Kamera wurde genauso nervös wie er, schwankte unentschlossen nach rechts und wieder zurück zu ihm. « Okay, machen wir weiter damit! » wies Kayla den Techniker an. « Ich bin so froh, daß wir das gefilmt haben. Verfolg es und schalte dich ein. Wir schneiden erst mal die ganze Verwirrung und fangen ... hier wieder an. » Die Kamera hatte ein Mädchen herausgesucht, blaß und zerbrechlich, sechs Jahre alt, mit einer dicken, glänzenden Brille. «Beißen sie? » fragte das Mädchen. Sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen, ihre Augen blickten, leicht schielend, weit und erschrocken durch die dicken Brillengläser. «Beißen? » fragte Dr. Heller, jetzt außerhalb des Blickwinkels der Kamera. «Die Käfer in den Maschinen, beißen die?» Die Kamera schwenkte zurück und fing von neuem Hellers Gesicht ein, breit lächelnd, wie er in den herablassenden Ton verfiel, den Erwachsene annehmen, wenn mangelndes Verständnis von Kindern sie amüsiert. |
«0 ja», antwortete
er. «Sicherlich können sie beißen. Sie können sehr
viel Schaden anrichten. Oh, sie können euch alle auffressen ... Tage
an Arbeit kann es einen kosten. Und wir müssen dann alle Maschinen
stoppen und alles auseinandernehmen und diese widerlichen bissigen Wanzen
davonjagen. »
«Und wohin gehen sie dann, wenn ihr sie fortgejagt habt? »fragte das kleine Mädchen. Auf dem Bildschirm sah sich Heller zu der Kleinen rübergehen, sich zu ihr herunterbeugen und seinen Finger auf ihre Nasenspitze legen. «Ich vertraue dir jetzt ein Geheimnis an, meine Kleine! Sie rennen weg und verstecken sich in all den anderen Computern überall auf der Welt. Und zack! sind sie wieder da, einfach so, wenn man am wenigsten mit ihnen rechnet. Zwick, zwack, zwick, zwack ! » Und er zwackte sie in die Wange. «Aber», das kleine Mädchen war hartnäckig, ihre Stimme schwankte und klang zum Zerreißen gespannt: «Sie sollten ... sie sollten ... die Puterleute sollten darauf rumtrampeln und sie zerquetschen und sie umbringen. Sie alle totmachen! » Um sie herum begannen andere Kinder, ihren Rat zu befolgen; sie tobten herum, begannen nach allen Richtungen auf dem Fußboden herumzutrampeln, andere kniffen mit Krallenfingern nach Beinen und Schuhen und kreischten «Zwick, zwack!» |
Das kleine Mädchen fuhr fort:
«Sie sollten sie mit Gift vollspritzen, wie hinter der Spüle,
wenn sie da sind. Weil sie doch beißen können und uns auffressen!
Sie können kleine Kinder auffressen! »
Hellers Fernsehgesicht lachte leise. Er ergriff die Kinder neben sich und zog sie zu sich heran, langte nach vorne, um den Kopf des kleinen Mädchens zu streicheln. «Nein, das ginge bei diesen Käfern nicht. Weil sie nämlich ganz klein sind, man kann sie nicht richtig sehen. Und man weiß auch nie, wo sie sein könnten, also kann man sie auch nicht töten. Aber ich werde dir sagen, was wir tun können! Wir können nämlich dafür sorgen, daß viele gute Computerleute immerfort Wache halten. Und wenn sie dann Wanzen sehen, können sie sie gleich verscheuchen und dafür sorgen, daß sie nicht allzuviel Schaden anrichten. » Kayla schaukelte begeistert in ihrem Stuhl, lachte und klatschte in die Hände. «Nett», sagte sie, «einfach zu gut! Ach, das ist unbezahlbar! Sehen Sie bloß diese Gesichter, diese Augen! Das wird die Erwachsenen begeistern. Und das sind 17,3 % unserer Zuschauer, so viel können wir für sie übrig haben! » Die Kamera konzentrierte sich auf die Gesichter der Kinder: große, ängstliche Augen, offene Münder, ein Kind hier, eins dort, die ihre Hände in die Luft hielten und <zwick>, <zwack> machten. |
«Diesen Teil wollen
Sie drinlassen?» fragte Heller.
«Um nichts in der Welt würde ich das rausschneiden», sagte Kayla, « das ist perfektes Fernsehen. Es berührt die Leute, es ist spontan und so menschlich. » Heller dachte ähnlich. Es war menschlich. Dr. Heller, einmal unvorbereitet, wie er doch die richtigen Antworten gab, mit der richtigen Mischung aus Witz und väterlicher Zuneigung, er gab offen die Grenzen seiner Wissenschaft zu, aber auf eine Art, die auch wieder Ausdruck seiner Sicherheit und seines Zutrauens war, und die einlud, ihm zu vertrauen. Dieses Bild seiner selbst gefiel ihm: ein richtiger Mann, der sich mit echtem, nicht eingeübtem Humor auf richtige Kinder bezog, seine Arme um sie legte, ihnen über das Haar strich. |
Kayla und ihr Team waren
sich einig: Genau so mußte die Sendung enden. Mit diesem komischen
kleinen Mädchen, das seine Frage stellte, und mit Dr. Heller, der
seinen kleinen Witz machte und ihr erzählte: O ja, die Wanzen können
beißen, ganz sicher können sie das.
Und genau zwei Wochen später, kurz nachdem «Wandre durch Wunder» ausgestrahlt worden war, taten sie es. |