Wie Sepp Braun sich die Natur wieder zum Freund gemacht hat

Ist die Kuh glücklich, freut sich der Mensch

Sepp Braun aus Dürneck war nicht immer das, was man einen Ökobauern nennt. Aber seit der 41-jährige Bayer umgedacht hat, ist sein Leben anders geworden. Von Sepp Braun wäre einiges zu lernen - nicht nur im Augenblick.

Von Mirko Weber, München

Singapore Airlines. Lufthansa. BEA. Ein Flugzeug nach dem anderen zittert tief und mit dickem Bauch durch die nasskalte Luft auf den Franz-Josef-Strauß-Flughafen zu, der weiter hinten im Erdinger Morgennebel liegt, und wer vergessen könnte, dass es sich nicht um harmlose große Vögel handelt, hätte eigentlich einen ganz schönen Anblick. So oder so aber schaut Sepp Braun von seinem Hof in Dürneck bei Freising aus nicht mehr hin. Er hat lange genug gegen den Münchner Großflughafen gekämpft, es war nichts zu machen. Nun fliegt er wenigstens nicht mit den Dingern, nicht von München aus und überhaupt nicht, aber er kann schon verstehen, dass Menschen rauswollen - raus aus der Stadt und ,,raus aus den Wohn-KZs”, sagt Bauer Braun - und entschuldigt sich gleich für das Wort, das heißt, er wägt es nach einmal ab, wie es seine Art heim Reden ist. Nein, Punktum! Dabei bleibt es jetzt: ,,Anders kann man es doch nicht sagen.”

Sepp Braun ist ein großer und nachdenklicher Mann, was vielleicht dazu geführt hat, dass er den Kopf immer ein wenig gesenkt hält beim Gehen - und beim Reden auch. Er könnte Professor sein oder Apostel gewesen, wie er einen so grau-blau aus dem Vollbart heraus anschaut, freundlich und ernst zugleich. Dabei hat er immer nur Bauer werden wollen, ein guter, versteht sich.

Als Sepp Braun sich anschickte, den Hof von seinem Vater zu übernehmen - dreißig Hektar Acker und fünfzehn Hektar Grünland - war klar, was man sich unter einem guten Bauern vorzustellen hatte. In der Berufsschule und in der Fachschule wussten sie das Ende der siebziger Jahre genau, und Sepp Braun war ein folgsamer Schüler. ,,Ich hin sicher ehrgeizig”, sagt er heute, und er weiß, was er sagt. Der Ehrgeiz hat sich nicht verloren. Sepp Braun nützt ihn nur besser, vollkommen anders halt.

Gedüngt, was das Zeug hielt

Damals ging es vor allem um Quantität, und auch der Dürnecker Bauer hat zum Beispiel gedüngt, was das Zeug hielt. Alles im Kopf, alles behalten, man muss ihn nur fragen: 112 Doppelzentner Wintergerste 1984, da gab es in Deutschland nicht viele, die mithalten konnten.” Rekorde haben ihre Faszination, und Sepp Braun ist so ehrlich zuzugeben, dass er dieser Faszination eine Zeit lang erlegen war, auch wenn er schon Anfang der achtziger Jahre in Vorträge Andersdenkender ging, bei den Grünen etwa. Braun hat nicht vergessen, was er bei kleinen ökologischen Predigten noch 1982 dachte: ,,Dem helf' mer heim!” Doch dann ist alles ganz anders gekommen.

Sepp Braun spricht viele bedenkenswerte Sachen aus, wenn man sich länger mit ihm unterhält. Einer der nachhaltigsten Sätze fällt später, in der guten Stube, Tee auf dem Tisch. Neben dem Klavier liegen ein paar Noten von Lennon & McCartney: ,,Eight days a week” - als ob sich das hier nicht von selbst verstünde. Da schiebt Sepp Braun zwischen zwei seiner Gedanken die Bemerkung: ,,Wir sind eine gläubige Familie, wenn ich das als Bauer noch sagen darf.” Er betont nichts groß, sondern spricht eher nebenbei, und es ist ja immer erfreulich, wenn einer nicht zu dick aufträgt. Für sein Leben jedoch als Mensch und als Bauer ist das Erwähnte schon von Bedeutung gewesen und ist es noch. Es kam nämlich die Zeit, als Sepp Braun auffiel, dass in seiner katholischen Landjugend Fragen gestellt wurden, die um andere Dinge kreisten als um die Ertragsmenge. Es waren ,,Warum?” und Wozu?” und ,,Was tun wir da?” - Fragen, unangenehme Fragen also: aber Sepp Braun hat sie sich allmählich auch gestellt. Bis dahin war er fest davon überzeugt gewesen, die Natur sei ein Gegner, dem man etwas abtrotzen müsse.

So hatte er es schließlich gelernt. Nun kam er ins Wanken, fing an zu lesen, las und las und las und erkannte, dass es nicht der Mittelweg ist, der nach Rom führt. Sepp Braun begann sein Leben zu ändern, und als seine Frau Irene das erste Kind zur Welt brachte - heute sind es vier, vier Töchter - spürte Sepp Braun, es war höchste Zeit: ,,Man weiß ja da, dass man mehr Verantwortung hat”, sagt er heute. Das mit der Verantwortung sagen ja viele, weil man es heute eben so sagt, aber hier steht einer, der hat die Sache dann auch ernst genommen, aber wie.

(Forts. s.u.)


(Forts.)

Man macht sich die Natur nicht sofort wieder zum Freund, wenn man sie auf einmal ganz anders behandelt, doch Irene und Sepp Braun haben sich angestrengt: Der Pflug kam in den Stall, die Aussaatmethode wurde geändert, und die Schnecken hatten Tag und Nacht Ausgang.

Sepp Braun fing unterdessen an, den Reichtum der Weiden zu entdecken, seinen Schatz an Wiesenblumen beispielsweise: „Meine Kollegen spritzen des weg, ich verkauf's”, sagt er, und zwar nicht triumphierend, gar nicht. Überhaupt ist ihm das wohl alles fremd - Rechthaberei, Überlegenheitsgefühle, Schadenfreude, ja, die schon gleich. Braun ist nicht ohne Sünde, welchen Stein sollte er also werfen? Kommt ihm gar nicht in den Sinn. Nein, die Kollegen gehen ihm ganz im Gegenteil nicht aus dem Kopf, weil er ja versteht, ,,dass die Vertrauen in die Industrie und Wissenschaft” haben. Gehabt haben. Mittlerweile ahnen lange nichts ahnen wollende Verantwortliche in Bayern, wer da wen bezahlt hat für seine Ergebnisse. Ein Wunder ist es nicht, wenn die Schnäppchengesellschaft ständig nach ,,Mehr!” und ,,Billiger!” ruft und auf den Höfen und Feldern bei Kleinbetrieben ,,derselbe Dreck” eingesetzt wird wie in den Agrarfabriken.

Ist der Bauer also dumm oder immer der Dumme? ,,Eher das zweite”, findet Sepp Braun, der in finsteren Momenten einen ganzen Berufsstand wieder ins Mittelalter zurückgehen sieht, auf dem Weg in die Leibeigenschaft - Handlanger der Industrie.

Wer mag, kann auf die Weide

Dabei kommt man mit ein bisschen Nachdenken und einem eigenen Kopf schon weiter. Sepp Braun zum Beispiel hatte früher gar kein besonderes Verhältnis zum lieben Vieh. ,,Ich war kein leidenschaftlicher Tierhalter”, meint er mit Abstand. Was ihm einleuchtete, war die Tatsache, dass er zufriedener sein würde, wenn es seinen Tieren richtig gut ginge. Daran arbeitete er, und wer selbst Kuhställe einigermaßen gewöhnt ist, wird in Dürneck überrascht sein, welch entspannte Gemeinschaft hier beieinander steht und liegt, die Kälbchen bei der Mutter, der Rest großzügig verteilt. Viel Licht, viel Platz, nur eigenes Heu. Keine Silage, kein Anbinden. Wer mag, kann auf die Weide.

Seit er den Stall unterhält, musste Sepp Braun nur viermal Geburtshilfe leisten. Die 23 Kühe kalben alleine und werden früher wieder trächtig. Ihre Milchleistung, wie man das nennt, liegt auf dem Niveau von Kühen aus konventionellen Betrieben. Sepp Braun, der „bioland” angeschlossen ist, macht seinen eigenen Käse. Fürs Schlachten hat er einen entsprechend eingestellten Metzger. Wurst und Fleisch werden auf dem Hof verkauft. Manchmal spricht Sepp Braun von ,,schlüssigem Betriebsorganismus”, manchmal einfach von „Glück”.

Die Konzeption für den Stall hat er mit zwei Doktoranden aus Weihenstephan entwickelt. Dabei war die erste Frage, welche Ansprüche die Tiere an den Menschen haben könnten. Das ist zwölf Jahre her, und es war keine schlechte Frage. Nach den vermehrten BSE-Fällen im Land hat der bayerische Ministerpräsident sich an einen anderen antiquierten Begriff erinnert: Würde. Das ist keine schlechte Antwort, aber Stoiber und seine Leute müssen das Wort erst wieder buchstabieren lernen, Braun kann es auswendig. Es ist nicht weit her damit gewesen bei Mensch und Tier und zwischen Mensch und Natur, das sieht man ja allgemein, jetzt, spätestens.

Sepp Braun verwendet eine ganze Anzahl altmodischer Begriffe, während er einen hierhin und dorthin führt, um zu zeigen, wie alles mit allem verbunden ist auf dem Hof - Vertrauen ist so einer und Gespür ein anderer. Das kommt auch daher, weil Sepp Braun einer Idee anhängt, die noch mehr nach vorgestern klingt, aber das täuscht. Er stelle sich den Bauern als jemanden vor, der dem Leben dienen müsse, sagt Sepp Braun. Wer, außer dem Bauern, habe schließlich noch alles selber in der Hand, im Prinzip?

Sepp Braun macht eine Bewegung zur Erde hin, richtet sich wieder auf, reibt ganz zart die Luft zwischen den langen Fingern und lässt die Hände wieder aufgehen, ganz einfach. Danach ist es eine Weile still, dann muht es hinten und pladdert. Sepp Braun schaut auf und fragt: ,,Verstehen Sie?” Der Bauer lächelt.

(aus der Stuttgarter Zeitung)

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