WORTE 

vom 29. August - 3. September 2004

ausgewählt von  
Pfarrerin Ilka Sobottke, Mannheim,

Evangelische Kirche

und zum 4. September 
von Pfarrer Roland Spur

 Als der Abend übers Schlachtfeld wehte
Waren die Feinde geschlagen.
Klingend die Telefondrähte
Haben die Kunde hinausgetragen.

Da schwoll am einen Ende der Welt
Ein Heulen, das am Himmelsgewölbe zerschellt‘
Ein Schrei, der aus rasenden Mündern quoll
Und wahnsinnstrunken zum Himmel schwoll.
Tausend Lippen wurden vom Fluchen blass
Tausend Hände ballten sich wild im Hass.

Und am andern Ende der Welt
Ein Jauchzen am Himmelsgewölbe zerschellt
Ein Jubeln, ein Toben, ein Rasen der Lust
Ein freies Aufatmen und Recken der Brust.
Tausend Lippen wühlten im alten Gebet
Tausend Hände falteten fromm sich und stet.

In der Nacht noch spät
Sangen die Telefondräht‘
Von den Toten, die auf dem Schlachtfeld geblieben...
Siehe, da war es still bei Freunden und Feinden.
Nur die Mütter weinten
Hüben – und drüben.

Bertolt Brecht


Sonntag, 29. August 2004

Uwe Timm liest im Tagebuch seines Bruders aus der Zeit als Soldat bei der Waffen-SS im Russlandfeldzug kurz vor dessen Verwundung und Tod im Feldlazarett. Er findet in dem was der Bruder schreibt. Kein Wort über die Gräueltaten an der Zivilbevölkerung, nur die Beschreibung des Vormarschs, die Verluste in den eigenen Reihen... 
Die Notizen verraten weder den Überzeugungstäter noch aufkeimenden Widerstand. Es spricht daraus - und das ist das erschreckende - eine partielle Blindheit, nur das Normale wird registriert. Umso erstaunlicher dieser Satz und diese Lücke, die es zwischen der vorletzten Eintragung
»die Fahrt geht weiter« und der Einsicht über »so grausame Dinge« nicht mehr schreiben zu können, gibt. Und da ist der Wunsch, mein Wunsch, diese Lücke möge für ein NEIN stehen für das »non servo« - ich diene nicht das am Anfang der Aufkündigung von Gehorsam steht und mehr Mut erfordert als für die vorstoßenden Panzer Breschen in Gräben zu sprengen.

Montag, 30. August 2004

Es kommt darauf an, dass einer es wagt, ganz er selbst, ein einzelner Mensch dieser bestimmte einzelne Mensch zu sein. Allein vor Gott, allein in dieser ungeheuren Anstrengung und mit dieser ungeheuren Verantwortung.

Søren Kierkegaard

Dienstag, 31. August 2004

Ich wünschte mir, die beiden, der Bruder und der Vater hätten sich in diesen Kriegsjahren so verhalten wie jener deutsche Offizier, der sich auf der Straße seiner Heimatstadt in Uniform mit einem befreundeten Juden zeigte, zu einer Zeit als die Juden durch den Stern gebranntmarkt wurden. Der Offizier wurde unehrenhaft aus dem Heeresdienst entlassen... Ein mutiger Offizier. Aber ein so ganz anderer Mut als der in Deutschland erwartete, der sich immer im Verband mit anderen beweisen musste, dessen Voraussetzung Gehorsam war, eine der preußischen Tugenden, die den Mut zur Gewalt einschloss. Gewalt gegen andere, Gewalt auch gegen sich selbst, der Mut zu töten, der Mut sich töten zu lassen. Was nicht galt, war der Mut nein zu sagen, zu widersprechen, Befehle zu verweigern Hätte nur jeder darauf verzichtet Karriere zu machen...

(Uwe Timm, Am Beispiel meines Bruders)

Mittwoch 01. September 2004

Über schwarze Erziehung zu Tapferkeit und obrigkeitshöriger Ja-Sagerei kurz nach dem II. Weltkrieg

Der Junge kann sich nicht erinnern von den Eltern je zu einem Nichtgehorsam ermuntert worden zu sein. Auch nicht von der Mutter - raushalten, vorsichtig sein, ja, aber nicht das Neinsagen, die Verweigerung, der Ungehorsam. Die Erziehung zur Tapferkeit - die ja immer als Tapferkeit im Verband gedacht war - führte zu einer zivilen Ängstlichkeit.

Von Uwe Timm

Donnerstag, 02. September 2004

Uwe Timm über die Haltung seines Vaters zur Frage nach der Schuld am Holocaust

Es ist die zur Gewohnheit gewordene Feigheit - das Totschweigen... Auch wenn es sich so deutlich nicht im Bewusstsein des Jungen darstellte. War es doch diese Empfindung, dass es Ausreden waren, dass der Vater gerade das tat, was er immer als verächtlich anprangerte, er kniff. Er stellte sich nicht. Das was das Kind bewundert hatte, was es in Spielen am Elbufer nachstellte: ...Verteidigen von Stellungen bis zum letzten Mann rücksichtslose Angriffe... Dieses DURCHHALTEN, GERADESTEHEN offenbarte sich jetzt als Schwäche als Feigheit. Nicht nur wegen der Verbote, der Vorurteile des Vaters, es war seine Schwäche, dieses Laue, dieses spürbare sich-um-die-eigene-Schuld-drücken. Eine Schuld, die sich nicht aus einzelnen Verfehlungen ergab, sondern aus der Haltung, eben aus jener Haltung, die nur Befehle und Gehorsam kannte.

Freitag, 03. September 2004

Macht euch doch nichts vor! Wenn sich jemand einbildet, in dieser Welt besonders klug und weise zu sein, der muss den Mut aufbringen, als töricht zu gelten. Nur dann wird er wirklich weise.

aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther im Kapitel 3 Vers 18

Samstag, 04. September 2004

Bringt es Glück oder Unglück? 

Die Antwort eines Rabbiners lautete so: 
Das ist eine gute Frage, eine wichtige Frage, ob es Glück oder Unglück bringt wenn einem eine schwarze Katze über den Weg läuft, hängt nämlich davon ab, ob man eine Maus ist oder ein Mensch.