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WORTE
vom 22.-28. August 2004
ausgewählt von
Nina Endres Katholische Kirche
Sonntag, 22. August
2004
Vertrauen
Hoch über dem Marktplatz einer kleinen Stadt zeigte eine
Seiltänzerin ihre Kunststücke. Gegen Ende der Vorstellung holte sie eine Schubkarre
hervor und fragte einen Zuschauer: "Sagen Sie, trauen Sie mir zu, dass ich
die Karre über das Seil schiebe?" "Aber gewiss", antwortete der
Gefragte fröhlich. "Würden Sie sich dann von mir über das Seil fahren lassen?",
fragte die Seiltänzerin weiter. Da wurden die Mienen der Zuschauer ängstlich. Nein, dazu
hatten sie keinen Mut! Plötzlich meldete sich ein Kind. "Ich setze mich in
die Karre", rief es, und unter dem gespannten Schweigen der Menge schob
die Frau das Kind über das Seil. Als es am anderen Ende ankam, klatschten alle begeistert
Beifall. Einer aber fragte das Kind: "Sag, hattest du keine Angst da
oben?" "O nein", lachte es, "es ist ja meine Mutter, die
mich über das Seil schob!"
Montag, 23. August
2004
Eine Legende berichtet, wie Gott Erbarmen hatte mit einem
Menschen, der sich über sein zu schweres Kreuz beklagte. Er führte ihn in einen
Raum, wo alle Kreuze der Menschen aufgestellt waren und sagte ihm: „Wähle“! Der
Mensch machte sich auf die Suche. Er entdeckte ein ganz dünnes Kreuz, das
jedoch sehr lang war. Er sah ein ganz kleines, aber als er es aufheben wollte,
war es schwer wie Blei. Dann sah er eins, das gefiel ihm, und er legte es auf
seine Schultern. Doch da merkte er, dass das Kreuz an der Stelle, wo es auf den
Schultern auflag, eine scharfe Spitze hatte, die ihm wie ein Dorn ins Fleisch
drang. So hatte jedes Kreuz etwas Unangenehmes. Als er fast alle
Kreuze durchgesehen hatte, entdeckte er noch eins, das versteckt stand. Das war
nicht zu schwer, nicht zu leicht, so richtig handlich, wie geschaffen für ihn.
Dieses Kreuz wollte er in Zukunft tragen. Als er näher hinschaute, merkte er, dass es das Kreuz war,
das er bisher getragen hatte.
„Das
handliche Kreuz“, Spruch aus dem Mindener Dom
Dienstag, 24. August
2004
Wir
verkaufen nur den Samen
Ein
junger Mann betrat im Traum einen Laden. Hinter der Theke stand ein Engel. Der
Mann fragte ihn: "Was verkaufen Sie?" Der Engel antwortete
freundlich: "Alles, was Sie wollen." Der junge Mann begann
aufzuzählen: "Dann hätte ich gern das Ende aller Kriege in der Welt,
bessere Bedingungen für die Randgruppen der Gesellschaft, Beseitigung der
Elendsviertel in Lateinamerika, Arbeit für die Arbeitslosen, mehr Gemeinschaft
und Liebe in den Familien und ... " „Entschuldigen
Sie, junger Mann,“ unterbrach ihn der Engel " Sie haben mich falsch
verstanden. Wir verkaufen keine Früchte, wir verkaufen nur den Samen."
Mittwoch, 25. August
2004
Es gibt zwei Arten zu beten. Bei der ersten bittet man, dass bestimmte Dinge
geschehen mögen, und versucht dabei, Gott zu sagen, was Er zu tun
hat. Dies gesteht dem Schöpfer weder Zeit noch einen Handlungsspielraum
zu. Gott weiß sehr viel besser als jeder von uns, dass Er tun wird, was Er
für richtig hält. Und in demjenigen, der so gebetet hat, bleibt das Gefühl
zurück, nicht erhört worden zu sein. Bei der zweiten Art des Betens überlässt sich der
Mensch Gottes Ratschluss, ohne die Wege des Höchsten zu kennen. Er
bittet darum, vom Leid verschont zu werden, bittet um Freude beim Guten
Kampf, aber er vergisst nie zu sagen: »Dein Wille geschehe.« Der Krieger des Lichts betet auf die zweite Art.
Vom
Gebet von Paolo Coelho
Donnerstag, 26.
August 2004
Ich will Deinen Namen nennen. Ich will Deinen Namen nennen, sitzend allein zwischen
den Schatten meiner stummen Gedanken. Ich will ihn nennen ohne
Worte, ich will ihn nennen ohne Zweck. Denn ich bin wie ein
Kind, das seine Mutter ruft hundertmal, Froh, dass es sagen kann.
»Mutter!«
„Ich
will deinen Namen nennen“ von Rabindranath Tagore
Freitag, 27. August 2004
Es
interessiert mich nicht, womit du dein Geld verdienst. Ich will wissen, wonach
du dich sehnst und ob du die Erfüllung deines Herzenswunsches zu träumen wagst. Ich
will wissen ob du den Schmerz - meinen oder deinen eigenen - ertragen kannst,
ohne ihn zu verstehen, zu bemänteln, oder zu lindern. Es
interessiert mich nicht, wo du wohnst, oder ob du reich bist. Ich will wissen,
ob du nach einer kummervoll durchwachten Nacht, zermürbt und müde bis auf die
Knochen, aufstehen kannst, um das Notwendige zu tun, damit deine Kinder
versorgt sind. Es
interessiert mich nicht, wo oder was du mit wem studiert hast. Ich will wissen,
was dich von innen heraus trägt, wenn alles andere wegbricht. Ich
will wissen, ob du mit dir selbst alleine sein kannst, und ob du den, der dir
in solch einsamen Momenten deines Lebens Gesellschaft leistet, wirklich magst.
Gedicht von Oriah Mountain
Dreamer
Samstag, 28. August
2004
Ein Mann, der jeden Tag am Meer spazieren geht, sieht
eines Tages etwas seltsames in der Ferne: Ein Mensch scheint dort am Strand zu
stehen und es sieht aus, als würde er tanzen. Der Mann nähert sich und erkennt,
dass es ein anderer Mann ist, der sich immer wieder bückt und Seesterne
aufhebt, um sie ins Wasser zurück zu werfen. "Was machst du da?", fragt er ihn, verwundert
über dessen Anblick. "Die Seesterne - Die Flut spült sie an den Strand.
Alleine kommen sie nicht zurück ins Wasser und müssen sterben.", antwortet
dieser. "Aber was soll das nützen? – Sieh doch, der ganze Strand liegt
voll von ihnen. Es macht keinen Unterschied, ob du einige von ihnen
zurückwirfst!", entgegnet der Mann verwundert. Der andere bückt sich erneut und nimmt einen Seestern.
Lange steht er stumm da, dann flüstert er ohne den anderen anzusehen: "Für
diesen einen da ist es ein Unterschied!"
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