WORTE vom

16. - 22. Mai 2004

ausgewählt von Altfried Rempe, 
Katholische Kirche

Sonntag, 16. Mai 2004

Mein Hirt

Er ist mein Hirt. Und mir fehlt nichts. Er gibt mir Licht und Leben. Es ist wie am Wasser. Er stillt meinen Durst. Er sagt mir, wie's weitergeht. Er ist der Gott, auf den ich hoffte. Auch dann wenn ich durch eine Nacht muss (meine Nacht), gerade dann habe ich keine Angst. Vor nichts. Denn es ist einer bei mir: und das bist Du. Du gehst mir voraus. Das ist meine Hoffnung. Du deckst mir den Tisch. Meine Feinde sehen es und können nichts machen. Du machst mich schön. Es ist ein Fest! Und so wird es weitergehen solange ich am Leben bin und sein darf, bei IHM.

Psalm 23 – übertragen von Arnold Stadler (Die Menschen lügen. Alle. Und andere Psalmen (1999, Insel))

 

Montag, 17. Mai 2004

Schmetterlinge

Die Schmetterlinge sind ganz kleine Vögel. Guck doch, sagte das Kind, sie fliegen und flattern und schaukeln im Wind. Sie singen bestimmt auch ganz kleine Lieder. Aber wir hören sie nicht, sagte das Kind, weil unsere Ohren zu groß dafür sind.

Schmetterlinge – ein Gedicht von Anne Steinwart gefunden in der Todesanzeige für Lilly Westhoff, geboren und gestorben am 30. April dieses Jahres (Trierischer Volksfreund 8. Mai 2004)

 

Dienstag, 18. Mai 2004

Die Käuferin

Ich bin eine alte Frau. Als Deutschland erwacht war, wurden die Unterstützungen gekürzt. Meine Kinder gaben mir ab und zu einen Groschen. Ich konnte aber fast nichts mehr kaufen. Die erste Zeit ging ich also seltener in die Läden, wo ich früher gekauft hatte. Aber eines Tages dachte ich nach, und dann ging ich doch wieder täglich zum Bäcker, zur Grünkramhändlerin, als alte Käuferin. Sorgfältig wählte ich unter den Esswaren. Griff nicht mehr heraus als früher, doch auch nicht weniger. Legte die Brötchen zum Brot und den Lauch zum Kohl und erst wenn zusammengerechnet wurde, seufzte ich, wühlte mit meinen steifen Fingern in meinem Lederbeutelchen und gestand kopfschüttelnd, dass mein Geld nicht ausreiche, das Wenige zu bezahlen und ich verließ kopfschüttelnd den Laden, von allen Kunden gesehen.
Ich sagte mir, wenn wir alle, die wir nichts haben, nicht mehr erscheinen, wo das Essen ausliegt, könnte man meinen, wir brauchen nichts. Aber wenn wir kommen und nichts kaufen können, weiß man Bescheid.

Bertolt Brecht, Die Käuferin (zitiert nach Impuls. Mitgliedermagazin der KAB Deutschland, Mai 2004)

 

Mittwoch, 19. Mai 2004

Auf der Wippe

Du musst dich leicht machen, sagt dein Sohn auf der Spielplatzwippe, nachdem er dich überredet hat.
Du spürst dein Gewicht, den Alltag, den Trott, die Gewohnheit, deine enttäuschten Hoffnungen.
Du schaust ihn an, wie er strahlt, wie unbelastet er ist, wie er platzt vor Unternehmungslust.
Alles verliert an Gewicht und er sagt, dass du ein klasse Schaukler bist. Du musst dich leicht machen um mit ihm zu schaukeln.

Anne Steinwart - Du musst dich leicht machen - Für Christoph (Wer hat schon Flügel – Goldmann Verlag)

 

Donnerstag, 20. Mai 2004 (Christi Himmelfahrt)

Höher als zum Himmel

Von einem frommen Rabbi wurde erzählt, dass er jeden Morgen vor dem Frühgebet zum Himmel emporsteige. Ein frommer Gelehrter lachte darüber und legte sich vor Morgengrauen auf die Lauer. Da sah er: der Rabbi verließ, als Holzknecht verkleidet, sein Haus und ging zum Wald. Der Gelehrte folgte ihm von weitem. Er sah den Rabbi ein Bäumchen fällen und in Stücke hacken. Dann lud sich der Rabbi das Holz auf den Rücken und schleppte es zu einer armen, kranken, einsamen Jüdin. Der Gelehrte blickte durch das Fenster. In der Stube kniete der Rabbi am Boden und heizte ein ... Als die Leute nachher den Gelehrten fragten, was es denn nun auf sich habe mit des Rabbis täglicher Himmelfahrt, da sagte er still: "Er steigt noch höher als zum Himmel."

Höher als zum Himmel – eine chassidische Geschichte (zit. nach Willi Hoffsümmer, Kurzgeschichten 2, Mainz 1984)

 

Freitag, 21. Mai 2004

Trauriges Vogellied

Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels haben Nester, der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. Jesus über sich selbst. (Lukas 958) Überall gewesen. Nirgendwo ein Nest gebaut. Überall
mein Lied gesungen. Nirgendwo Gehör gefunden. Überall Federn verloren. Will dennoch weitersingen.

Anne Steinwart, Trauriges Vogellied (Wer hat schon Flügel – Goldmann Verlag)

 

Samstag, 22. Mai 2004

Engel wo warst du

Engel wo warst du, als ein dunkler Wind das Licht stahl, als die Flammen ihren lautlosen Kampf kämpften und die Töne verwehten mitten im Lied.
Als die halbvollen Weingläser zurückblieben / wie verlassene Herzen und vom Blühen nur kalte Asche eine ferne Ahnung ließ.
Engel wo warst du als das Fest abgebrochen wurde. Hey Engel wo warst du, als ich dich brauchte. Engel wo warst du, als die Liebe ging. Engel wo warst du, als das Drehbuch umgeschrieben wurde, als man die Hauptrollen neu verteilte und die Einsätze plötzlich nicht mehr stimmten ...
Engel wo warst du als der Film angehalten wurde. Hey Engel wo warst du, als ich dich brauchte. Engel wo warst du, als die Liebe ging.

Burkhard Hedtmann, Engel wo warst du (Fallen oder Fliegen, Burk-Verlag Minden 1998)