WORTE vom 04.-10. April 2004

 

ausgewählt von Altfried G. Rempe, Trier, Katholische Kirche

 

 

Palmsonntag, 4. April 2004

Kreuzweg

In Jerusalem und anderswo, damals wie heute: der Kreuzweg ist um halb vier. Vorhin war er hier im Dom. Und der Küster sagte mir, es sei mühsam gewesen... Da waren viele Leute im Dom. Die einen taten so, als wäre nichts.. Andere gafften und schnupperten ein wenig touristisch herum (sie hatten ein Recht darauf, sie hatten ja ... Eintritt bezahlt). Aber da waren auch noch zwei, die störte es offenbar, dass jetzt hier Kreuzweg war. Sie fuhren lautstark dazwischen. Einer ballte sogar die linke Faust. Wie war das zu werten – intolerant oder pathologisch? Jedenfalls...: der Kreuzweg findet immer noch statt. Heute wie damals. Auch damals war er keine fromme Andachtsveranstaltung, auch damals ging er durchs Gedränge. Es ist immer noch das gleiche Menschengedränge, durch das der seinen Weg finden muss, der da den Balken schleppt.

Winfried Pilz, Crucifixus – ein durchkreuztes Weltbild (in: Apropos Credo, Düsseldorf 1982)

 

Montag, 5. April 2004

Der Fall Judas (1)

Judas: das ist der Skeptiker unter den Glaubensgewissen. Der einzig Selbständige unter den auf blinden Gehorsam eingeschworenen Vielen. Der Zauderer unter den Losstürmenden. Der Warner unter den Sorglosen. Der Rechner unter den Verschwendern. Judas, der Nein-Sager: die ungeliebte Kassandra, die, von Gott verflucht, den Blinden sagen muss, wie’s ausgehen wird: Heute Jubel und morgen das Grab. Judas ... dachte zu viel. Er, der Außenseiter, der durch seine pure Existenz den Ja-Sagern zeigte, dass Alternativen bestünden und es nicht nur heute gäbe, sondern auch morgen, nicht nur Christentum, sondern auch jüdischen Glauben, nicht nur Leben, sondern auch Tod... Sehr ihr immer noch nicht ein, dass Judas kein Verräter und Heuchler, sondern der Allergläubigste war – der Erwählte des Herrn? Ihr Verstockten!... Judas, das weiß ich, hat getan, was Gott von ihm verlangte.

Walter Jens, Der Fall Judas (Kreuz Stuttgart 19782)

 

Dienstag, 6. April 2004

Der Blumengarten

Am See, tief zwischen Tann und Silberpappel
Beschirmt von Mauer und Gesträuch ein Garten
So weise angelegt mit monatlichen Blumen
Dass er vom März bis zum Oktober blüht.
Hier, in der Früh, nicht allzu häufig, sitz ich
Und wünsche mir, auch ich mög allezeit
In den verschiedenen Wettern, guten, schlechten
Dies oder jenes Angenehme zeigen.

Bertolt Brecht aus den Buckower Elegien – Gedichte – Suhrkamp – S.

 

Mittwoch, 7. April 2004

Das Kreuz: "mit" oder "ohne"?

Nächste Woche werden wir mit Jugendlichen... kleine Kreuze für die einzelnen Zimmer des neuen (Jugend-)Hauses gestalten. Mir kommt dabei das Zittern. Ich denke nicht, dass wir jedes Mal den Gekreuzigten modellieren werden. Voraussichtlich werden wir uns dafür entscheiden, es überhaupt nicht zu tun, sondern nur das einfache, eindeutige Zeichen hervorzukehren. (Leer. Ohne die gemarterte Gestalt.) Ein Zeichen, in dem "noch alles drin" ist. Als die frühen Christen es nach der Ära der Verfolgung hervorzuholen wagten, war es für sie ein Zeichen des Sieges, der Auferstehung. Aber vielleicht ist es für uns abgebrühte Zeitgenossen nötig, wieder dem ersten Schrecken ausgesetzt zu sein, um die Tragweite dieses Zeichens zu ermessen.

Winfried Pilz, Crucifixus – ein durchkreuztes Weltbild (in: Apropos Credo, Düsseldorf 1982)

 

Gründonnerstag, 8. April 2004

Der Fall Judas (2)

Ich wiederhole also: Sie gehörten zusammen – Jesus und Judas, Judas in Jesu Hand. Beide hatten ihren Weg zu gehen – vereint noch im Tod: hoch über der Erde am Holz... Ich stelle den Antrag, (Judas) den Mann aus Keriot selig zu sprechen. Der Sohn der Hölle, dies wollte ich zeigen, ist in Wahrheit der Beauftragte Gottes und der Bruder unseres Herrn Jesus gewesen. Ich denke, wir haben alle viel wieder gut zu machen an Judas. Wir alle.

Walter Jens, Der Fall Judas (Stuttgart: Kreuz 19782)

 

Karfreitag, 9. April 2004

ER und wir

ER ließ sich das Leben nehmen, so kommt das Leben zu uns.
ER hauchte seinen Geist aus, wir atmen IHN ein.
Wir banden IHN, ER lässt sich binden, ER ist verbindlich.
Wir nagelten IHN fest, ER lässt sich festnageln auf sein Wort.
Wir legten IHN aufs Kreuz. ER lässt sich aufs Kreuz legen.
So sieht ER die Welt besser.
Wir hängten IHN auf, wir lassen IHN hängen, so erniedrigt, ist ER erhöht.
Wir legten IHN ins Grab, ER lässt sich nicht begraben.
ER ist das Weizenkorn. Wir wollten IHN retten, ER ist nicht zu retten.
Wir wollten IHN restaurieren, einbalsamieren, mumifizieren. ER ist keine Mumie.
ER ist uns unter der Hand davongelaufen.

Wilhelm Willms: ER – Jesus und wir (in: lichtbrechung. geistliche lyrik, Kevelaer 1982)

 

Karsamstag, 10. April 2004

Dann ist eben jetzt Ostern

Mir ist beim Umzug ein großes Kruzifix heruntergefallen, und der eindrucksvolle Corpus aus Ton (ist) zersplittert, nicht mehr restaurierbar. Nun, habe ich nach einem ersten Schock gedacht: dann hängt eben in Zukunft keiner mehr dran, dann eben nur noch die leeren groben Balken, - dann ist eben jetzt Ostern...

Winfried Pilz, Crucifixus – ein durchkreuztes Weltbild (in: Apropos Credo, Düsseldorf 1982)