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WORTE
vom 03.-09. August 2003
ausgewählt von Pfarrerin Ilka
Sobottke,
Mannheim, Evangelische Kirche
Sonntag, 3. August 2003
Man ist überhaupt niemals frei. Außer in den Augenblicken, in denen
man sich aus dem Schicksal herausfallen lässt. Von solchen Augenblicken
wird man manchmal überrumpelt. Niemals kann Freiheit in unserem Leben
länger dauern, als ein paar Atemzüge lang. Aber für sie leben wir.
Alfred Andersch, Die Kirschen der Freiheit
Montag, 4. August 2003
Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht
lustig. Der Schnee tröpfelte emsig vom Dache. Die Sperlinge zwitscherten
und tummelten sich dazwischen. Ich saß auf der Türschwelle und wischte
mir den Schlaf aus den Augen; mir war so recht wohl in dem warmen
Sonnenscheine.
Da trat der Vater aus dem Haus. Er hatte schon seit Tagesanbruch in der
Mühle rumort. Und die Schlafmütze schief auf dem Kopfe. Der sagte zu
mir:
Du Taugenichts! Da sonnst du dich schon wieder und dehnst und reckst dir
die Knochen müde. Ich kann dich hier nicht länger füttern. Geh auch
einmal hinaus in die Welt und erwirb dir selber dein Brot.
Nun sagte ich, wenn ich ein Taugenichts bin, so ist’s gut. So will ich
in die Welt gehen und mein Glück machen
Josef von Eichendorf
Dienstag, 5. August 2003
Es ist verkehrt, sich vor etwas zu grausen, was doch kommen muss, fand
Melcher. Man sollte das "Jetzt" genießen, einen sonnigen Morgen
wie diesen. Dann ist das Leben nur Glück. Im Schlafanzug schnurstracks in
den Garten hinausgehen, Gras unter den Füßen spüren, am Steg schnell
einmal untertauchen und sich hinterher an seinen eigenhändig gestrichenen
Gartentisch setzen, sein Buch oder seine Zeitung lesen und seinen Kaffee
trinken, während die Kinder um einen herumtollen, mehr begehrte er nicht
vom Leben.
Astrid Lindgren, Ferien auf Saltkrokan
Mittwoch, 6. August 2003
Mir gefällt es einfach nicht, Urlaub zu machen. Es hat keinerlei Reiz
für mich. Allein schon der Gedanke an eine Reise ist mir schrecklich
zuwider. Mit der Kofferpackerei, der Frage, ob ich in dem und dem Hotel
gut schlafen werde oder nicht. Die Schönheiten der Natur? Ich ziehe die
vor, die ich mir aus Plastik im Studio zusammenbastle. Kulturelle
Neugierde? Nein, auch das nicht: Wenn ich mal irgendeine Kirche betrete,
dann nur, weil das Portal grade halb offen steht und ich ein bisschen die
Kühle genießen oder für ein paar Sekunden irgendwelche Reuegefühle, na
ja, sagen wir von der katholischen Sorte, beschwichtigen will.
Neugierde auf Menschen? Nicht mal das. Ich verspüre nicht den geringsten
Drang, neue Bekanntschaften zu schließen. Ich bin von Natur aus nicht
gesellig.
Was soll ich denn sagen? Ich gebe ja zu, ich bin in neurotischer Weise
zufrieden mit meinem Leben. So wie es ist. Und wenn’s nach mir ginge,
wäre vielleicht noch nicht einmal Amerika entdeckt.
Federico Fellini, Urlaub
Donnerstag, 7. August 2003
Inkognito. War seine Lieblingsvorstellung. In Stuttgart musste Helmut
erleben, wie in der Nachbarschaft und in der Schule und zwar bei Kollegen
und bei Schülern die Kenntnis über ihn zunahm. An ihm war der Spitzname Bodenspecht
hängen geblieben. Das zeigte ihm, dass er mit einer geradezu höheren
Art von Genauigkeit erfasst, durchschaut und bezeichnet war. Jedes Mal,
wenn ihm das erkannt und durchschaut sein in der Schule oder Nachbarschaft
demonstriert wurde, die Vertrautheit mit Eigenschaften, die er nie
zugegeben hatte, dann wollte er fliehen. Einfach weg, weg, weg.
Martin Walser, ein fliehendes Pferd
Freitag, 8. August 2003
Jetzt blieb ihm nur noch die Flucht. Ein- zweimal im Jahr. Der Urlaub
eben. Im Urlaub probierte er Gesichter und Benehmensweisen aus, die ihm
geeignet zu sein schienen.
Seine wirklich Person in Sicherheit zu bringen. Vor den Augen der Welt
unerreichbar zu sein. Das wurde sein Traum... Ein Überneuschwanstein
wollte sich einbrennen in seine Vorstellungen und Wälder. Sah sich durch
Wälder traben, ohne sich zu bewegen. Trabte er und kam immer tiefer
hinein in Wälder, die zum Glück kein Ende hatten. Wälder die kein Ende
haben, das ist überhaupt das Vollkommene. Ja hatte er denn Lehrer werden
wollen? Will denn irgendjemand irgend etwas werden?
Martin Walser, Ein fliehendes Pferd
Samstag, 9. August 2003
Wir verreisen und wissen nicht, kommen wir wieder. Am Ende sind wir
gerädert und ausgemergelt. Bis in die letzten Gebirgsfalten sind wir
gekrabbelt. Auf der Landzunge lagen wir mit den verbrauchten Füßen im
Wasser, um unseren Leib zu kühlen und unsere Seele nicht zu enttäuschen.
Bist du es Herr, der uns immer wieder in die Weltgassen zieht, um uns
zuletzt nach Hause zu jagen. Oder sind es die Händler, die krummen Hunde
und hinterhältigen Herren, denen alles recht ist, wenn sie nur Gold
zwischen den Zähnen sehen.
Oder ist es die Schönheit der Fremde und der Stumpfsinn zu Hause, der uns
beunruhigt. Wo ist dein Platz Gott? Wo ist dein Platz? Wo bist du wenn du
Ferien machst?
Hanns Dieter Hüsch
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