WORTE vom 20.-26. Juli 2003

 

ausgewählt von Pfarrer Helmut Siebert, Simmern / Hunsrück, Evangelische Kirche

 

 

Sonntag, 20. Juli 2003

Frieden

Wie wird Friede? Durch ein System von politischen Verträgen? Durch Investierung internationalen Kapitals in den verschiedenen Ländern, das heißt durch die Großbanken, durch das Geld? Oder gar durch eine allseitige friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens? Nein, durch dieses alles aus dem einen Grunde nicht: weil hier überall Friede und Sicherheit verwechselt wird. Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden, [er] ist das eine große Wagnis und lässt sich nie und nimmer sichern. Friede ist das Gegenteil von Sicherung. Sicherheiten fordern heißt Misstrauen haben, und dieses Misstrauen gebiert [erzeugt] wiederum Krieg.

Dietrich Bonhoeffer

 

Montag, 21. Juli 2003

Orientierung

Wir leben in einer Zeit, in der täglich und überall nach Orientierung gerufen wird. Werte sollen neu in den Vordergrund gestellt werden, weil so vieles in Frage zu stehen scheint und Grundmuster und selbstverständliche Verhaltensweisen nicht mehr erkennbar sind. Nun hat die christliche Religion ja durchaus Orientierung und auch Werte anzubieten. Aber für viele Menschen in unserem Land scheint das Christentum veraltet: eine sozusagen überholte Weltanschauung, von der nichts mehr zu erwarten ist. Problematisch dabei ist, dass manche so urteilen, ohne die Inhalte der Bibel überhaupt noch zu kennen, ohne sich wirklich mit dem christlichen Glauben und seinen Konsequenzen auseinandergesetzt zu haben.

Margot Käßmann

 

Dienstag, 22. Juli 2003

Lebensmitte-I

Wann ist das eigentlich, die "Mitte des Lebens"? Ist das dann, wenn man einen Beruf, eine Ehe und Kinder hat? So nach dem Motto einer Reklame: mein Haus, meine Frau, mein Auto? Aber solche Daten, wenn sie denn überhaupt aussagekräftig sind, hängen immer weniger von einem bestimmten Lebensalter ab: Frauen bekommen mit Zwanzig oder eben mit vierzig ihr erstes Kind; Männer werden mit zwanzig oder mit fünfzig oder noch später Väter. Und manchmal mit zwanzig und mit fünfzig, aber mit verschiedenen Frauen. Die Mitte des Lebens sieht bei jedem und jeder offenbar anders aus. Ich glaube, die Lebensmitte ist keine Frage der Jahre, sondern der Klugheit: Wenn ich in meinem Leben Grenzen erkenne, bin ich in der Mitte. Wenn ich nicht mehr wie in der Jugend glaube, das doch alles machbar ist. Und wenn ich weiß, dass mein Leben schon morgen zu Ende sein kann. Vielleicht versuchen deshalb so viele, die Mitte des Lebens zu vermeiden: in dem sie mitten im Leben aus allem ausbrechen wollen.

Margot von Käßmann

 

Mittwoch, 23. Juli 2003

Lebensmitte-II

Die Lebensmitte ist in der Bibel oft der Start in etwas Neues. Da sind beispielsweise Abraham und Moses: Beide waren gut situiert, Familie und Beruf waren organisiert, da schickt Gott sie los in ein neues Leben. Und auch etliche von den Propheten werden in ihrer Lebensmitte berufen. Und die Jünger von Jesus hatten sich längst eingerichtet im Leben, als Jesus sie zur Nachfolge auffordert. Es scheint geradezu ein durchgehendes Prinzip in der Bibel zu sein, gerade dann, wenn man sich etabliert hat, etwas neues anfangen zu sollen. Ich finde das beunruhigend, denn das heißt doch: Richte dich nicht allzu bürgerlich ein in deinem Leben. Vertrau nicht zu stark auf die Sicherheiten deiner eigenen Lebensplanung. Und zugleich ist diese Botschaft wohltuend und befreiend: In meiner zweiten Lebenshälfte kann sich durchaus noch etwas ändern.

von Margot Käßmann

 

Donnerstag, 24. Juli 2003

Leistung

Unsere Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Das will ich auch nicht kritisieren, denn Leistung und Erfolg sind aus christlicher Sicht nichts Negatives. Allerdings wird Leistung zum Abgott, wenn sie einziger Lebensinhalt wird. Und unsere Gesellschaft steht in der Gefahr, nur noch diesen einen Ausschnitt menschlicher Lebensmöglichkeiten wahrzunehmen. Schauen Sie sich allein das Fernsehen an: Da gaukelt man uns vor, eine junge Frau können morgens blendend gelaunt aufstehen, zwei Kinder versorgen, zur Schule bringen, arbeiten gehen, immer noch gut aussehen, und am Abend schließlich elegant auf einer Party stehen. Die Rollen von sechzig-jährigen werden von vierzig-jährigen gespielt. Und die wirklich alten, die Behinderten und Sozialhilfeempfänger kommen fast nur noch im Dokumentarfilm vor. Darin sehe ich eine Gefahr: Denn eine Gesellschaft funktioniert nur, wenn die Starken und Leistungsfähigen mit den Schwachen und Hilfsbedürftigen solidarisch bleiben.

von Margot Käßmann

 

Samstag, 26. Juli 2003

Erziehung

Kinder brauchen Religion. Bei der religiösen Erziehung von Kindern muss die Gesellschaft den Eltern helfen: Sie muss zur Erziehung ermutigen, aber auch Erziehungsarbeit fordern. Das gilt auch für die religiöse Erziehung. Kinder haben das Recht, Gott und den Glauben kennen zu lernen. Vielen Eltern ist diese Erfahrung bereist selbst verloren gegangen oder sie gehen der Auseinandersetzung mit diesen Themen lieber aus dem Weg. Aber besonders Kinder und Jugendliche brauchen den Halt von Religion. Ein Soziologe – und zwar ein kirchenkritischer Soziologe – hat gesagt, wenn man Kinder wirklich erziehen wolle, gehe es wohl nicht ohne Religion. Denn Erziehung bedeutet nicht nur Zugang zu Laptops und Internet, sondern auch das Erlernen von Nächstenliebe, Toleranz und Gnade. Nachgewiesen ist außerdem, dass religiöse Erfahrungen und Kenntnisse die Konfliktfähigkeit und die moralische Urteilsfähigkeit von Kindern fördern.

nach Margot Käßmann