WORTE vom 13.-19. Juli 2003

 

ausgewählt von Altfried G. Rempe, Trier, Katholische Kirche

 

 

Sonntag, 13. Juli 2003

Das Unkraut darf wachsen

Ein Mann hatte guten Samen auf seinen Acker gesät. Eines Nachts, als alles schlief, kam sein Feind, säte Unkraut zwischen den Weizen und verschwand.
Als nun der Weizen wuchs und Ähren ansetzte, schoss auch das Unkraut auf. Da kamen die Arbeiter zum Gutsherrn und fragten: Du hast doch guten Samen auf deinen Acker gesät, woher kommt das ganze Unkraut?'
Der Gutsherr antwortete: 'Das hat einer getan, der mir schaden will.'
Die Arbeiter fragten: 'Sollen wir hingehen und das Unkraut ausreißen?'
'Nein', sagte der Gutsherr, 'wenn ihr es ausreißt, könntet ihr zugleich den Weizen mit ausreißen. Lasst beides wachsen bis zur Ernte! Wenn es so weit ist, sage ich den Erntearbeitern: Sammelt zuerst das Unkraut ein und verbrennt es. Aber den Weizen schafft in meine Scheune.'«

Jesus von Nazaret: Eine Bildgeschichte über das Gottesreiches und wie es wächst

(Mattäus 13,24 ff)

 

Montag, 14. Juli 2003

Revolutionär Jesus

Zweitausend Jahre sind es fast, seit du die Welt verlassen hast, du Opferlamm des Lebens! Du gabst den Armen ihren Gott. Du littest durch der Reichen Spott. Du tatest es vergebens! Du sahst Gewalt und Polizei. Du wolltest alle Menschen frei und Frieden auf der Erde. Du wusstest, wie das Elend tut und wolltest alle Menschen gut, damit es schöner werde! Du warst ein Revolutionär und machtest dir das Leben schwer mit Schiebern und Gelehrten. Du hast die Freiheit stets beschützt und doch den Menschen nichts genützt. Du kamst an die Verkehrten! Du kämpftest tapfer gegen sie und gegen Staat und Industrie und die gesamte Meute. Bis man an dir, weil nichts verfing, Justizmord, kurzerhand, beging. Es war genau wie heute. Die Menschen wurden nicht gescheit. Am wenigsten die Christenheit, trotz allem Händefalten. Du hattest sie vergeblich lieb. Du starbst umsonst. Und alles blieb beim alten.

Erich Kästner, Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag – ein Wort am Tag der französischen Revolution (in: Gesammelte Schriften für Erwachsene Bd I, Zürich [Atrium] 1969, S. 211 f )

 

Dienstag, 15. Juli 2003

Glück

Wie der Blitz in der Wolke wohnt es in der kurzen Silbe, die so schmelzend und lächelnd mit dem GL beginnt, im Ü so lachend ruht und so kurz, und im CK so entschlossen und knapp endet. Es ist ein Wort zum Lachen und zum Weinen, ein Wort voll Urzauber und Sinnlichkeit. Wenn man es recht empfinden will, braucht man nur ein spätes, flaches, müdes Nickel- oder Kupferwort neben das goldene zu stellen, etwa Gegebenheit oder Nutzbarmachung, dann ist alles klar. Kein Zweifel, es kommt nicht aus Wörterbüchern und Schulstuben. Es ist nicht erdacht, abgeleitet oder zusammengesetzt, es ist eins und rund, ist vollkommen; es kommt aus dem Himmel oder aus der Erde wie Sonnenlicht oder Blumenblick. Wie gut, wie glücklich, wie tröstlich, dass es solche Wörter gibt!

Hermann Hesse: Glück, In: Gesammelte Werke. Band 22. Suhrkamp Verlag: Berlin 1951.

 

Mittwoch, 16. Juli 2003

Das Glück

Hans hat es, Bel-Ami sucht es bei den Frauen. Im Klee liegt es. Im Spiel und in der Liebe braucht man es: das Glück. Gibt es überhaupt Schöneres? Dem Glücklichen erscheint die Welt wie ein Zauber: die Sonne strahlt, der Himmel ist blau – Zeit für die Liebe und für die Musik. Wer sich "bis zur Bewusstlosigkeit glücklich" fühlt (...), der ist mit sich selbst im Reinen. Er ruht in sich. "Alle Lust will Ewigkeit", hat Friedrich Nietzsche behauptet. Doch das Glück ist flatterhaft. Für die meisten ist es bloß ein kurzer Augenblick, so einmalig wie die Blüte der Aloe, so flüchtig wie ein Sommertag.

Heide Hollmer: Glück

 

Donnerstag, 17. Juli 2003

Wir sind okay

Wir haben uns nichts vorzuwerfen.
Wir wissen was wir tun.
Die anderen, ja die anderen, das Übel.
Wir wohnen im Weihrauch.
Das Vaterunser beschuldigt uns nicht.
Wir, eine reiche Gemeinde, zahlreich, gut gerüstet gegen die anderen hinter dem Zaun.
Die anderen Übeltäter wissen nicht was sie tun

Rose Ausländer: Wir haben uns nichts vorzuwerfen in: Und preise die kühlende Liebe der Luft. Gedichte 1983-1987. S. Fischer Frankfurt/M 1988

 

Freitag, 18. Juli 2003

Stier und Mücke

"Mach, dass du wegkommst!" schnaubte der Stier die Mücke an, die ihm im Ohr saß.
"Du vergisst, dass ich kein Stier bin", sagte die Mücke; und stach ihn gemächlich.

Wolfdietrich Schnurre: Stier und Mücke in: Der Spatz in der Hand. Fabeln Langen Müller: München

 

Samstag, 19. Juli 2003

Mich zu lieben

Mich zu lieben darf ein Mann mich nicht wie eine Ware besitzen wollen, mich nicht vorführen wie eine Jagdtrophäe; er wird an meiner Seite stehen mit der gleichen Liebe, wie ich an der seinen.
Die Liebe meines Mannes flieht nicht vor der Küche und nicht vor Kinderwindeln, wie ein frischer Wind ist sie, der in Wolken aus Traum und Zeit die Hemmnisse davonträgt, die uns über Jahrhunderte trennten wie verschiedenartige Wesen.

Gioconda Belli – Mich zu lieben ... aus: Wenn du mich lieben willst. Gesammelte Gedichte. Wuppertal: Peter Hammer 1994 (zitiert nach Mitten unter euch. Unterrichtswerk für den katholischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe 9/10 – Auer Donauwörth 19961, S. 70