WORTE vom 06.-12.07.2003

 

ausgewählt von Pfarrer Roland Spur, Stuttgart, Evangelische Kirche

 

 

Sonntag, 06. Juli 2003

Zeugnis

Ich sprach nachts: Es werde Licht! Aber heller wurd' es nicht.
Ich sprach: Wasser werde Wein! Doch das Wasser ließ das sein.
Ich sprach: Lahmer, Du kannst gehen! Doch er blieb auf Krücken stehen.
Da ward auch dem Dümmsten klar, dass ich nicht der Heiland war.

Robert Gernhard: Ich sprach

 

Montag, 07. Juli 2003

Die Frage

Das Kind kam zu seinem Vater und setzte sich auf seinen Schoß. »Du Papi, wie funktioniert der Fernseher?« »Das weiß ich nicht.«
»Du Papi, woher kommt der Strom?« »Das weiß ich nicht.«
»Papi, warum wächst das Gras?« »Ich weiß es nicht.«
»Papi, stört es Dich eigentlich, wenn ich all diese Fragen stelle?« »Natürlich nicht, mein Kind. Wie sollst Du denn etwas lernen, wenn Du keine Fragen stellst!«

Nach Bruce Dillman, aus: Ziel um Ziel

 

Dienstag, 08. Juli 2003

Aus Fehlern wird man klug
»Versagt oder versetzt?« – oder: unverzagt!

Bertolt Brecht war in der 8. Klasse, und seine Versetzung hing von einer Klassenarbeit in Französisch ab. Sie ging daneben.
Einem Mitschüler geschah dasselbe in Latein. Der radierte einige Fehler aus, ging zum Lehrer und verlangte eine bessere Note. Aber er bekam eine noch schlechtere: bei Lichte besehen, die radierten Stellen waren dünner geworden.
Bertolt Brecht nahm rote Tinte, strich in seiner Arbeit mehrere Fehler an, die keine waren, ging zum Lehrer und fragte ihn, was denn hier falsch sei. Der Lehrer musste zugeben, dass die Worte richtig seien und er zuviel angestrichen habe. »Dann«, sagte Brecht, muss ich doch eine bessere Zensur haben«. Der Lehrer änderte die Note. Und Brecht wurde versetzt.

Schule bei Bertolt Brecht, eine Anekdote.

 

Mittwoch, 09. Juli 2003

aus aktuellem Anlass geändert!

Mittwoch, 9. Juli 2003

Ins Gebet genommen
Nach dem Tod der Bijani-Zwillinge

Ewiger unser Gott, Du hast Macht über Leben und Tod. Du bist der Herrscher über die sichtbare und die unsichtbare Welt, Schöpfer von Materie und Energie, Schöpfer der Naturgesetze und des Geistes.
Wir kommen zur Welt. Wann – das bestimmen nicht wir. Wie – das wählen wir nicht aus. So schenkst Du uns das Leben. Und dann nimmst Du uns das Leben und führst uns durch die Tür des Todes zu Dir.
Gestern sind Ladan und Laleh Bijani gestorben. Die Zwillingsschwestern glaubten fest daran, dass eine helle Zukunft vor ihnen liegt. Sie sind das Risiko der schwierigen Operation eingegangen. Der Wille, als eigenständige Menschen zu leben, war stärker als ihre Angst vor dem Tod. Wer will über sie richten?
Hilf uns, guter Gott, mit unseren Möglichkeiten und Grenzen im Leben so umzugehen wie mit einem Geschenk des Himmels. Lass uns möglichst dankbar und intensiv leben. Amen.

Das aktualisierte Gebet des Bischofs Serapion aus dem 4. Jahrhundert

 

Donnerstag, 10. Juli 2003

König und Philosoph

Friedrich II, oder – wenn Sie wollen – auch: Friedrich der Große, Sanssouci, Flötenkonzerte, der Preußenkönig, der hatte gehört, dass dieser Moses Mendelssohn in Berlin nicht nur ein begnadeter Philosoph, sondern auch ein geistreicher Unterhalter sein soll.
Und lädt ihn unverzüglich zu sich nach Potsdam an die königliche Tafel.
Dummerweise übt Mendelssohn an dem Tag gerade eine gewisse Zurückhaltung, wie Leute, die fasten. Ist wortkarg, fast schweigsam.
Da greift Friedrich II. zur Feder und schreibt auf einen Zettel »Mendelssohn ist ein Esel!«, unterschreibt ihn, schiebt ihn lächelnd zu Mendelssohn ’rüber und bittet ihn darum, ihn vorzulesen.
Mendelssohn liest, runzelt die Stirn. Vorlesen, Sire? Gewiss!
Er steht auf und spricht: "Mendelssohn ist ein Esel, Friedrich der Zweite!"

eine Berliner Anekdote

 

Freitag, 11. Juli 2003

Hellsicht

Ein Wort aus jüdischer Weisheit:
Je länger ein Blinder lebt, um so mehr sieht er.

 

Samstag, 12. Juli 2003

Beugung

»Reife Ähren erkennt man am gebeugten Halm.«
Beugen ist nicht Ausdruck der Schwäche, sondern sichtbares Zeichen der Reife.
Bäume neigen sich, wenn Früchte wachsen. Geneigtes Leben ist wertvoller, als hartherzig und halsstarrig vor sich selbst zu stehen.
Sich überheben und sich vermessen, kann in tiefe Abgründe stürzen.
Beugen und Neigen greifen dagegen nach oben, nach einem höheren Ziel, um durchs Staunen über sich hinaus zu leben. Besingen. Bewundern. Verehren…
Und überhaupt: Wer wollte ohne Zu-Neigung leben!

nach Axel Kühner