GEDANKEN vom 21.-27. Dezember 2003

 

von Pfarrerin Annette Bassler, Mainz, Evangelische Kirche

 

 

Sonntag, 21. Dezember 2003

Weihnachten zu Hause

An Weihnachten sind wir zu Hause. Wenn es irgend geht. Studenten fahren zu den Eltern. Großeltern zu den Kindern und Enkeln, einmal wenigstens soll die ganze Sippe zusammen kommen. Ein reger Verkehr ist das kurz vor Weihnachten. Wie eine kleine Völkerwanderung kommt mir das vor. Manchmal auch wie eine Flucht. Nur nicht allein sein an Heiligabend, nur nicht fremd irgendwo.
Aber es gibt viele, die können das nicht. Zu Hause sein. Vielleicht gehören Sie ja auch dazu. Weil Sie von Berufs wegen umziehen mussten in eine fremde Stadt. Oder weil Sie die gemeinsame Wohnung aufgegeben haben, weil die Beziehung sehr schmerzlich zu Ende gegangen ist. Da ist man dann an Heiligabend sehr allein, sogar wenn man in den eigenen vier Wänden sitzen. Zum Glück aber feiern wir an Heiligabend nicht unser Zuhause.
Zum Glück feiern wir, dass Jesus geboren ist. Im Stall von Bethlehem. Und das war grade nicht zu Hause. Zuhause wäre ja Nazareth gewesen. Dort ist Jesus groß geworden. Geboren aber ist er in Bethlehem. Weil Maria und Josef zwecks Volkszählung sich in der Stadt melden mussten, aus der ihre Vorfahren stammten. Also Bethlehem. Aber da waren sie fremd. Keine Verwandtschaft lebte noch dort. Und weil es außer ihnen noch viele Fremde in der Stadt waren, gab es nicht mal ein anständiges Hotelzimmer. Weihnachten zu Hause im Kreise der Lieben? Für Maria und Josef nichts von alledem.
Und genau so sollte es sein. Das war Gottes Plan. Gott kommt in der Fremde zur Welt. Das Jesuskind schaut in lauter fremde Gesichter. Gott sagt ja zur Welt, die so ist, wie sie ist. Gott sagt ja zu uns. Damit wir- egal wo wir sind, ja sagen können zu unsrem Leben. Das jetzt ist, wie es ist. Dann steht es unter einem guten Stern. Dann sind wir Zuhause, wo immer wir sind.

 

Montag, 22. Dezember 2003

Schenken ohne zu kränken

"Was soll ich ihr nur schenken, ohne sie zu kränken?" Die Prinzen haben das wunderbar besungen. Dieses Dilemma mit dem Schenken. Man will ja Freude machen. Man will ja was schenken. Aber was? Wein und Fon hat se schon, hat se schon. Warum ist das bei Kindern so viel einfach?
Wenn unsere Kinder an Heiligabend mit hochroten Backen ihre Päckchen auspackten, kriegten sie sich kaum ein. "Ja, die Ritterburg! Hab ich mir immer gewünscht. Ein Meerschweinchen! Toll!" Kleine Erdbeben waren das in der Familie, die Bescherungen. Unsere Kinder hatten immer viele Wünsche. Und deshalb konnte man gar nichts falsch machen.
Ob es das Dilemma mit dem Schenken daher kommt- dass viele Erwachsene sich das Wünschen abgewöhnt haben? Nach dem Motto: was ich wirklich will, krieg ich ja doch nicht, also will ich mir auch nichts mehr wünschen. Als Christkind hat man es da ziemlich schwer. In diesem Jahr habe ich mir vorgenommen, einfach hemmungslos zu schenken. Nach dem Motto: Wein und Fon, hat se schon. Hat se vielleicht schon, aber nicht von mir! Und darum geht es doch eigentlich. Dass es von MIR kommt.
Das sagt doch was. Ich bin vielleicht unbeholfen. Kann nicht so gut Wünsche von den Augen ablesen. Aber du bist mir wichtig. Ich hab dich lieb. Ich mag dich. Und um nichts anderes geht es beim Schenken. Wir schenken Liebe weiter. In aller Unvollkommenheit.
Deshalb werde ich dieses Jahr hemmungslos meiner Briefträgerin Pralinen, den Müllmännern Geld für die Kaffeekasse. Überhaupt nicht originell. Aber ich will ihnen sagen: Leute, ihr seid Klasse. Ohne euch würde ich in meinem Müll ersticken. Da ginge bei mir die Post ab. Danke, dass ihr das ganze Jahr bei mir auf der Matte steht. Und dann weiß ich schon, dass ich nicht weiß, wer hier eigentlich mehr beschenkt worden ist. Und dann ist Weihnachten. Wenn alle beschenkt sind.

 

Dienstag, 23. Dezember 2003

Wo ist unser Bethlehem

Bethlehem. Das ist heute eine ummauerte Stadt. Niemand darf rein, niemand darf raus ohne Passierschein. Die Leute haben oft Ausgangssperre, schließen sich in ihre Häuser ein. Aber das war nicht immer so.
Viola Raheb ist in Bethlehem groß geworden. Heute ist sie Mitte 30. Sie lebt in Wien und sehnt sich nach ihrer Stadt. "Bethlehem, sagt sie, das ist für mich das Leben. Dieses bunte, pulsierende Leben. Die Leute haben immer was zu Schwätzen. Auf der Straße, am Marktstand, im Straßencafe. Es gibt immer Geschichten zum Erzählen. Und an Heiligabend besonders. Früher.
"An Heiligabend, sagt Viola mit leuchtenden Augen, da ist ganz Bethlehem auf den Beinen. Und weil meine Wohnung nur wenige Meter von der Geburtskirche entfernt liegt, ist an Heiligabend ein ständiges Kommen und Gehen. Tagelang habe ich mit meiner Mutter Essen gekocht. Viel Essen. Wir wissen ja nie, wer alles vorbeikommt. Manche wollen nur mal kurz die Beine hochlegen bei einer Tasse Kaffe. Andere bleiben länger da, essen mit, haben Falaffel mitgebracht.
Apropos Falaffel. Natürlich feiern die muslimischen Nachbarn Weihnachten mit. Das ist Ehrensache. Wenn die Christen sich freuen, dass ihr Gott geboren ist, dann freuen sich die muslimischen und jüdischen Nachbarn mit. Weihnachten ist Weihnachten.
Allah ist Gott. Und Gott ist der Unaussprechliche. Salam ist Schalom. Und Schalom ist Friede auf Erden. So ist das an Heiligabend in Bethlehem." Sagt Viola Raheb. Nein, so war das in Bethlehem. Heute ist es still geworden. Kaum jemand ist auf der Straße. "In Bethlehem haben wir unsere Türen immer für Freunde, Nachbarn und Fremde aufgemacht. Wie damals, als Jesus geboren wurde.
Sagt Viola Raheb. Ihr in Deutschland habt keine Ausgangssperre. Warum schließt ihr euch an Heiligabend mit eurer Familie in eure Häuser ein? Stimmt, denke ich. Warum tun wir das eigentlich?

 

Mittwoch, 24. Dezember 2003

Heilige Nacht

Die Nacht ihrer ersten Geburt war kalt gewesen. In späteren Jahren aber vergaß sie gänzlich den Frost in den Kummerbalken und rauchenden Ofen. Und das Würgen der Nachgeburt gegen Morgen zu. Aber vor allem vergaß sie die bittere Scham , nicht allein zu sein die den Armen eigen ist.
So beginnt Bert Brecht sein berühmtes Gedicht über die Geburt im Stall. Die Weihnachtsgeschichte, das ist für Brecht eine Arme- Leute- Geschichte. Und das war sie ja auch. Maria und Josef, allein in einer fremden Stadt, kein Geld, um sich ein warmes Zimmer mieten zu können. Nicht einmal als es mit den Wehen losgeht. Man muss sich eine Ecke in einem Flüchtlingslager vorstellen oder einen Container, der bei uns für Nichtsesshafte aufgestellt wird. Dann haben wir annäherungsweise eine Vorstellung vom Stall zu Bethlehem.
Warum hat sich unser Bild von Weihnachten so friedvoll verklärt- bis hin zur kitschig heilen Welt? Brecht sagt, das hat schon bei Maria angefangen. Das kam von ihrem Sohn. von den Erfahrungen mit ihm später. Sein Gesicht war leicht, er liebte Gesang, lud arme zu sich ein und hatte die Gewohnheit, unter Königen zu leben und einen Stern über sich zu sehen zur Nachtzeit. Ein wunderbarer Mensch. Einer, der den Raum weit macht, wenn er eintritt. Der dich mit so viel Güte anschaut, dass dir schwindelig wird. In dessen Nähe man nie friert. Solche Menschen gibt es bis heute. In ihnen lebt dieses Geheimnis von Weihnachten.
Dass nichts so armselig sein muss, wie es erscheint. Dass man alles auch in einem anderen Licht sehen kann. Und das fing schon im Stall von Bethlehem an. Brecht schreibt: Das rohe Geschwätz der Hirten verstummte. Später wurden aus ihnen Könige. Der Wind, der sehr kalt war wurde zum Engelsgesang. Ja, von dem Loch im Dach, das den Frost einließ, blieb nur der Stern, der hineinsah.

 

Donnerstag, 25. Dezember 2003

Das Nein der Maria

Was wäre, wenn Maria nein gesagt hätte. Damals, als der Engel zu ihr kam. "Gott hat dich erwählt." Sagte er. "Du sollst ein Kind bekommen. Es soll Jesus heißen und es wird der Sohn Gottes sein." Was wäre, wenn Maria "Nein" gesagt hätte. Klar und entschieden: Nö. Lieber nicht. Nicht mit mir.
Vernünftige Gründe hätte sie ja gehabt, weiß Gott! So jung und schon Mutterpflichten. Da ist man doch noch nicht reif für so viel Verantwortung! Da muss sie sich eigene Spirenzchen erstmal aus dem Kopf schlagen. Und dann die Sache mit dem Heiligen Geist. Sie wissen schon. Dass ihr Verlobter, der Josef, eigentlich nicht der Vater ihres Kindes sei, sondern der heilige Geist. Man muss sich das man vorstellen für einen Mann aus dem arabischen Kulturraum. Selbst wenn die Leute das mit dem heiligen Geist glauben würden. Josef würde immer in der zweiten Reihe stehen. Wie einer, der Alimente zahlen darf und Besuchsrecht hat, dem aber das Sorgerecht entzogen worden ist. Welcher Mann macht so was schon freiwillig mit.
Sicher, der Engel hatte Maria angekündigt, dass es ein besonderes Kind werden würde. Der Sohn Gottes. Das verheißt aber kein ruhiges Elterndasein. Ein besonderes Kind macht besondere Mühe, darum macht man sich als Eltern besondere Sorgen. Und meistens versteht man es doch nicht. Weil man selber nicht so besonders ist. Maria hätte viele gute Gründe gehabt, nein zu sagen. Aber sie traf eine Herzensentscheidung. Sie wollte einfach, dass Gott in ihrem Leben vorkommt. Und entsprechend turbulent ist ihr Leben auch geworden.
Nie hätte sie sich träumen lassen, dass wir noch heute, aufgeklärt und modern wie wir sind, ihre Entscheidung von damals feiern. Dass wir Weihnachten feiern. Mit aller Inbrunst. Nur weil sie Ja gesagt hat zu Gott, in aller Bescheidenheit.

 

Freitag, 26. Dezember 2003

Weihnachten- eine himmlische Inszenierung

Es war an Heiligabend. Und ich war sauer. Sauer, wie ein Kind sauer ist. "Du gehst mir so auf die Nerven!" sagte ich zu meiner Mutter. Gewöhnlich reagierte sie darauf mit einem unwilligen "Was’n los?" Aber damals, an Heiligabend, sagte sie nichts. Gar nichts. Sie war nur verletzt. Und im Jahr darauf sagte sie mir das, wie verletzt sie war. Und im Jahr darauf auch.
Später hab ich gedacht. Seltsames Drehbuch für Heiligabend. Da stehen ja alle Rollen schon fest. Und du darfst alles, nur nicht aus deiner Rolle fallen. Schade eigentlich! Wenn man nämlich so ein Drehbuch nachspielt, verpasst man das Beste. Nämlich die Überraschungen. Und Weihnachten ist doch das Fest der Überraschungen.
Das Drehbuch für Weihnachten hat nämlich Gott geschrieben. Und das ist eins, bei dem alle aus ihren Rollen fallen. Eine Jungfrau wird zum Kind, ein Vater ist gar kein Vater, ein Hirte wird zum König, ein Stall erstrahlt in einem hellen Glanz wie ein Palast. Und: Gott wird Mensch. Gott liegt als Kind in einer Krippe. Ein richtiges Kind. Alles, was Gott uns zu sagen hat, kann man in den Augen eines kleinen Kindes ablesen. Haben Sie schon mal einem Kind richtig in die Augen geschaut?
Was für ein Blick! Der bringt wahre Eisblöcke zum Schmelzen. Ich habe in den Augen meiner Kinder entdeckt, mit wie viel dummem Zeug ich mich so beschäftige und wie viel dumme Rollen ich so spiele. Gott wird ein Kind. Das ist das Drehbuch für Weihnachten. Lassen Sie sich überraschen. Spielen Sie mit in dieser himmlischen Inszenierung. Und wenn Sie aus Ihrer Rolle fallen, vertrauen Sie getrost darauf, dass Gott am Ende eine gute Überraschung für Sie bereit hält.

 

Samstag, 27. Dezember 2003

Morgen wird ein düsteres Kapitel der Weihnachtsgeschichte aufgeschlagen. "Tag der unschuldigen Kinder" so nennt der Kirchenkalender den ersten Sonntag nach Weihnachten. Erinnert wird an den Kindermord zu Bethlehem, eine grausige Geschichte. Herodes, der König der Juden, erfährt von den drei Weisen aus dem Morgenland, dass ein neuer König geboren sein soll, und zwar in Bethlehem. Natürlich fürchtet Herodes um seine Macht. "Ein neuer König? Sagt er, das heißt ein König, der mich vom Thron stoßen will." Er bittet die drei Weisen, ihn zu informieren, wenn sie das Kind gefunden haben. Aber die drei Weisen sind nicht dumm und liefern das Kind nicht dem König aus. Da befiehlt Herodes, alle Kinder in Bethlehem umzubringen. Eine grausige Geschichte.
Ob sie wirklich so passiert ist. Die Historiker sagen, eher nicht. Historisch aber ist, dass Herodes seine eigenen Kinder hat umbringen lassen. Aus Angst vor Machtverlust. Vielleicht fällt Ihnen bei der Geschichte auch zuerst Saddam Hussein ein. Sein Wille zur Macht hat vielen Kindern, sogar seinen beiden Söhnen das Leben gekostet. Aber die Geschichte steht nicht deshalb im Kirchenkalender, damit wir einmal im Jahr den Saddams dieser Welt die Leviten lesen. Die Geschichte will nachdenklich machen.
Wie kommt es, dass noch heute allein in Bethlehem viele Tausend Kinder in ständiger Lebensgefahr schweben. Zerrieben zwischen den Fronten zweier Kriegsparteien, von denen jede behauptet, für ein hehres Ziel zu kämpfen?
Niemand ist böse und will ihren Tod. Aber alle nehmen ihren Tod in Kauf. Weil sie an Sachzwänge glauben, die diese Opfer notwenig mit sich bringen.
Herodes- das ist der Typ Mensch, der aus Angst, aus Hilflosigkeit zur Gewalt greift. Weil er glaubt, nur so und nicht anders sich durchsetzen zu können. Gegen ihn steht Jesus. Der an die Macht der Liebe geglaubt hat. Liebet eure Feinde, seid kreativ. Und ihr werdet Söhne und Töchter des Höchsten genannt werden.