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GEDANKEN
vom 14.-20.12.2003
ausgewählt von Dr.
Peter Kottlorz, Rottenburg,
Katholische Kirche
Sonntag,
14. Dezember 2003
Advent
Advent – eigentlich eine schöne
Zeit. Eigentlich. Nein, diese Gedanken werden jetzt nicht ein
weiteres Klagelied über den besinnungslosen Einkaufsstress der
Vorweihnachtszeit. Advent ist das, was wir daraus machen. Gesellschaftlich – den ganzen
kommerziellen Rummel - kann
man so nehmen wie er ist oder sich wehren. Und persönlich –
kann man sich stressen lassen oder nicht. Worum geht
es eigentlich beim Advent ? Unter der Oberfläche. Advent ist
eine Vorbereitungszeit, eine Vorbereitung auf die Ankunft Gottes.
Große Worte ! Zunächst geht es aber erst mal ums Warten. Durch einen Flug nach New York habe ich mal eine doppelt
lange Nacht erlebt. Ich flog an einem Winterabend los und kam am nächsten
Morgen an und es war -
durch die Zeitverschiebung - immer noch Nacht. Blieb Nacht, es
wollte einfach nicht hell werden. Ich wartete und wartete. Auf das nächste
Shuttle in die City und dass es wieder Tag würde. Als dann nach
dieser doppelt langen Nacht endlich die ersten Sonnenstrahlen auf
Manhattan fielen, war es wie eine Erlösung. Und darum geht es auch
im Advent. Um das
Warten auf Erlösung. Auf die Erlösung von allem was einen an Leib und
Seele belastet. Um den Weg von der Dunkelheit ins Licht. Von der
Verkrampfung zur Entspannung, von der Kälte zur Wärme. Dazu
braucht es Zeit, Ruhe und Stille. Erst wenn ich bei mir selbst
angekommen bin, dann kann ich auch offen werden für die Ankunft
Gottes.
Montag,
15. Dezember 2003
Wahr-nehmung
Wahrnehmung – versuchen die
Dinge, die Menschen in ihrem Wesen zu erkennen. Das ist - wenn es einem
auch nur ansatzweise gelingt – wunderschön. Braucht aber Zeit. Die Adventszeit ist eigentlich eine ideale Zeit dafür.
Mit der vielen Dunkelheit, der Kälte und dem Gefühl nach Rückzug.
Eine
Zeit um die Welt ein wenig aus der Distanz zu betrachten. Ich weiß,
das ist sauschwer, gerade in der stressigen Vorweihnachtszeit.
Trotzdem oder gerade weil’s so unmöglich erscheint: mal versuchen
die Handbremse zu ziehen. Alles einen Gang langsamer machen. Und das
eine oder andere ganz bewusst. Zum Beispiel die Weihnachtsbeleuchtung sehen: in gelben Blättern
oder manchmal sogar noch inmitten von grünen.
Die vielen Lichter, die die frühe Dunkelheit erträglicher,
schöner, heimeliger machen. Die Menschen sehen wie sie hetzen oder
bummeln, mich selbst sehen in meinem Alltag, auf dem Karussell
meiner täglichen Pflichten oder den Stationen meines ganz persönlichen
Lebens. Die Adventszeit als eine Zeit der Unterbrechung – der
heilsamen Unterbrechung. Als eine Zeit der Entschleunigung – der
heilsamen Entschleunigung. Die Adventszeit als eine Zeit der
Wahrnehmung. Um die Welt wieder klarer zu sehen. Um mich selbst
wieder wahrzunehmen, zu spüren in meinem Innersten. Wahr-nehmung
– das ist nicht nur ein Wortspiel. Wenn ich mir Zeit nehme für
die Dinge, für die Menschen, für mich selbst, dann kann ich sie
auch besser wahrnehmen, von ihrer und meiner Wahrheit erfahren. Und
das ist oft schön, manchmal hart, aber immer der erste Schritt zum
Besseren.
Dienstag,
16. Dezember 2003
Ent-stressung
Vorweihnachtszeit – wer es
gut mit einem meint in diesen Tagen, sagt : Tu langsam, stress
dich nicht. Ist ja wunderbar und sicher auch gut gemeint, aber wie
soll das denn geh' n ? Es gibt wenig das schwieriger ist als
aus festgefügten Bahnen auszusteigen. Ich hab’s mal wieder
probiert – mal wieder. Oft
bin ich gescheitert weil ich mir zuviel vorgenommen habe : Wenn
alles gleich ganz anders werden sollte, dann wird gar nichts anders.
Das ist meine Erfahrung. Was ich gerade probiere ist, wo
es geht, etwas weniger machen. Das ist auch schon nicht schlecht. Also
zum Beispiel etwas weniger essen, das macht den Kopf klarer uns lässt
einen nachts besser schlafen. Oder, wenn es irgendwie geht, ein
bisschen weniger arbeiten – das lässt Zeit für Anderes und
Andere. Oder ein bisschen weniger schnell Auto fahren – runter von
der Überholspur und entspannter ankommen. Ein bisschen weniger
fernsehen, und dadurch mehr Zeit für meine Frau, meine Kinder oder
mich selbst haben. Oder ein bisschen früher aufstehen, um den Tag
ruhiger, bewusster zu beginnen. Ihn vielleicht sogar kommen zu
sehen, diesen sanften Wechsel von der Nacht zum Tag. Überhaupt,
mehr sehen und mehr hören durch das Wenigere, das Langsamere, das
Stillere. So könnte die Adventszeit weniger stressig sein. Mit ein
wenig weniger. Heute.
Mittwoch,
17. Dezember 2003
Padre Juan, der Fußballpfarrer
„
Für die Armen nur das Beste“. Sagte Padre Juan. Padre Juan war
der Fußballpfarrer von Neuquén, einer Provinzstadt im Süden
Argentiniens.In Argentinien herrscht
seit einem Jahr das Chaos. Das einst reichste Land Südamerikas
befindet sich im Notstand. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung
lebt unter der Armutsgrenze. Jedes 5. Kind ist unterernährt.Um den
Kindern zu helfen hat Padre Juan einen Fußball-Club gegründet.
Nicht dass nur der Fußball im fußballbegeisterten Argentinien das
Beste für arme Kinder ist, aber mit dem Club sind sie weg von der
Straße, lernen sie Regeln und Fairness. Vor allem aber bekommen sie
dort eine warme Mahlzeit pro Tag. Denn an den Fußball-Club ist eine
Kantine angeschlossen. Um zu betteln würden die Kinder, und vor
allem die Jugendlichen, nicht in die Kantine kommen. Aber weil sie
ja zum Fußball-Club gehört ist es Ihnen auch nicht peinlich dort
zu essen. Und auch nicht ihren Freunden, die natürlich auch ein
Essen bekommen, ob sie nun Fußball spielen oder nicht. Entsprechend
seinem Motto „Für die Armen nur das Beste“ hat Padre Juan Gläser
für seine Fußball-Kantine anschaffen lassen. Wovor er gewarnt
wurde. Es wurde befürchtet dass die Jugendlichen sie kaputt machen
würden. Falsch gedacht. Keines der Gläser hat auch nur einen
Sprung. Die Kinder und Jugendlichen die nur Papp- oder Plastikbecher
kennen, wissen die für sie kostbaren Trinkgefäße zu schätzen und
behandeln sie auch dementsprechend. Rund 100 Kinder und Jugendliche
gehören zu Padre Juans Fußball-Club. „Das ist nicht das Werk
einer einzigen Person“, hat der 74jährige gesagt, „ich kann
ruhig sterben, denn ich weiß, es geht auch ohne mich weiter“.
Drei Tage später war er tot. Adveniat, die Katholische
Hilfsorganisation, die in der Vorweihnachtszeit um Spenden für
Lateinamerika bittet, wird dafür sorgen, dass sein Werk weiterlebt.
Donnerstag,
18. Dezember 2003
Verschlossene
Tür
Eine Stadträtin meines Heimatortes wurde im Dezember 50.
Also – großer Bahnhof, viele Leute und viele Mäntel. Ich verließ
das Fest als einer der ersten und suchte inmitten der Massen von Mänteln
den meinigen. Dummerweise hab ich einen schwarzen Wintermantel und
man glaubt nicht wie viel schwarze Wintermäntel es gibt ! Und
meiner – ist weg. Haufenweise schwarze Mäntel gedreht und gewendet –
nichts zu machen – weg. Und damit auch mein Autoschlüssel –
weg. Die Tochter der Stadträtin fährt mich nach Hause. Kurz bevor
ich daran denke dass auch mein Hausschlüssel weg ist, ist auch
meine Chauffeurin weg. Und
da steh ich nun. Um 1 Uhr in einer kalten Dezembernacht, im Anzug
ohne Mantel, vor unserem Haus. Und klingle. Zuerst zaghaft und
selten. Meine beiden großen Kinder sind unterwegs. Also keine Chance, dass sie noch wach sind und mir
aufmachen. Bleiben noch meine Frau und unsere jüngste Tochter. Aber
keiner macht auf. Sie schlafen tief und fest. Mein Klingeln wird häufiger
und länger. Nichts tut sich. Steine gegen
die Fenster werfen hilft auch nichts. Einstiegsmöglichkeiten sind
auch keine zu sehen. Also offene Fenster oder so. Und dann nach fast einer halben
Stunde, als ich schon nicht mehr daran glauben möchte, sehe ich
Licht durch die gläserne Haustüre schimmern und ein kleines
schlaftrunkenes Engelchen schwebt die Treppe runter. Unsere Helen, die sich sonst in der Nacht doch so fürchtet,
wagt sich aus dem Bett und öffnet mir die Tür. Warum ich das alles erzähle ? Weil
das eine Adventsgeschichte für mich ist : Du stehst draußen
in der Kälte und wartest. Und wenn du schon gar nicht mehr daran
glauben willst, kommt ein Wesen, das dich liebt, öffnet dir die Tür
und holt dich von der dunklen Kälte ins warme Licht.
Freitag,
19. Dezember 2003
Ich
kann nicht mehr
« Ich kann nicht mehr.“ Diesen Satz hat der Fußballprofi
Sebastian Deissler vor kurzem gesagt. Ich kann nicht mehr. Monatelang war der 23jährige
verletzt. Er galt als eines der hoffnungsvollsten Talente im
deutschen Fußball. Aber immer wieder warfen ihn schwere
Verletzungen zurück. Und als er sich wieder einmal hochgerappelt
hatte und in bestechender Form Fußball gespielt hatte, kam dieser
Satz : Ich kann nicht mehr. Seine Psyche machte nicht mehr mit. Der
dauernde Leistungsdruck, die dauernden Verletzungen, dauernd im
grellen Licht der Öffentlichkeit zu stehen und nicht zuletzt auch
die dauernd hohen Erwartungen, die er an sich selbst gestellt hatte,
führten ihn nach und nach in die Depression. Er fühlte sich nur
noch wohl wenn er allein im Auto saß und Musik hörte,
abgeschlossen von der Welt in einem mobilen Schutzraum.
Depression
ist auch ein Schutzmechanismus. Der Psychologe C. G. Jung hat sie
einmal mit einer Dame in Schwarz verglichen. Wenn sie einen besuchen
komme, solle man sie nicht wegschicken, sondern sich mit ihr an den
Tisch setzen und hören, was sie einem zu sagen hat. Sebastian
Deissler hört sich die Dame in Schwarz an. Er befindet sich in
einer Therapie. Und er hat ganz bewusst zugestimmt, dass auch die Öffentlichkeit
von seiner Depression wissen darf. Das ist ein ermutigendes Signal für
die 10 bis 15 % aller Deutschen, die auch unter Depressionen leiden,
ein Signal dafür dass sie sich nicht verstecken müssen. Und es ist
auch ein wichtiges Signal für das Umfeld der depressiv Erkrankten.
Ottmar Hitzfeld, der Trainer des FC Bayern, bei dem Sebastian
Deissler spielt, ging sofort zu ihm als er von seiner Krankheit
erfuhr und gibt ihm alle Zeit der Welt um wieder ganz gesund zu
werden. Und Uli Hoeness, der oft so kalt und arrogant wirkende
Manager des FC Bayern sagte: Ich sehe in ihm jetzt nicht mehr den Fußballer, sondern nur noch den Menschen.
Samstag,
20. Dezember 2003
O
Heiland, reiß die Himmel auf
« O Heiland, reiß die Himmel auf. » Klingt brachial, dieses Adventslied. « Reiß
ab vom Himmel Tür und Tor, reiß ab wo Schloss und Riegel vor. » Dieses Adventslied beschreibt eine uralte Sehnsucht des
Menschen. Die Sehnsucht nach Erlösung, nach Heil und Heilung, an
Leib und Seele. Die Adventslieder, die manche vielleicht noch aus
ihrer Kindheit kennen und nicht wenige zum Beispiel morgen in der
Kirche singen, drücken diese tiefe Sehnsucht des Menschen aus: Nach
einem Himmel, der offen ist, aus dem die göttliche Erlösung fließt,
auf die Erde regnet oder sich wie Tau auf die Welt legt. Auf was
warten denn die Menschen in der Adventszeit, wenn sie auf etwas
warten ? Wonach laufen sich die Menschen vor Weihnachten denn
die Hacken ab ? Warum machen sie es sich denn so kuschelig, so
warm, so weich und so wattig in dieser Zeit? Nicht nur aus
kitschiger Rührseligkeit und auch nicht nur um sich selbst zu
beschenken dadurch dass man anderen eine Freude macht. Und auch
nicht nur wegen der Knete, trotz allem kommerziellen
Weihnachtsrummel. Der ganze Advent samt Weihnachten ist im Innersten
ein Ausdruck des tiefen Wunsches der Menschen ein Stück Himmel, ein
klein wenig Wahrhaftigkeit und Frieden zu erfahren. Einen
Zipfel Göttliches in ihr schweres, schönes und begrenztes Leben zu
bekommen.
« O Heiland reiß die Himmel auf, reiß ab vom Himmel
Tür und Tor, reiß ab wo Schloss und Riegel vor.“ Klingt wirklich
brachial. Aber die Sehnsucht ist auch groß.
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