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GEDANKEN
vom 13.-19. Juli 2003
ausgewählt von Martin Wolf, Kaiserslautern,
Katholische Kirche
Sonntag, 13. Juli 2003
Sonntag abschaffen
Eigentlich sollte man den freien Sonntag abschaffen. Seinen Sinn
hat er eh verloren. So meinte von einiger Zeit Ernst Elitz, der
Intendant des Deutschlandradios in einer Kolumne. Der Insasse der
Freizeitgesellschaft, so Elitz, habe das Sonntagsgebot des
Grundgesetzes doch selber außer Kraft gesetzt. Sonntags wird im
Haus gebastelt und gewerkelt oder Arbeit erledigt, die in der Woche
liegen gebliebene ist. Jeder fünfte Erwerbstätige arbeitet
mittlerweile am Sonntag! Meistens für die anderen, die die
Sonntagsruhe nicht ertragen können oder wollen. Die
Freizeitindustrie hat am Sonntag Hochkonjunktur. Und wenn irgendwo
ein so genannter verkaufsoffener Sonntag ist, dann macht man am
besten einen weiten Bogen um diese Stadt. Da gibt’s nämlich vor
lauter Sonntags-Shoppern kein Durchkommen mehr.
Ganz unrecht hat Elitz nicht! Der freie Tag in der Woche wird schon
in der Bibel mehrfach erwähnt, sogar von Gott angeordnet. Sechs
Tage kannst du arbeiten, am siebten Tag aber sollst du ruhen, heißt
es da. (Ex 23,12) Das freilich bezieht sich auf eine Gesellschaft,
in der sechs Tage harte körperliche Arbeit die Regel waren. Von
35-Stunden-Wochen und 30 bezahlten Urlaubstagen hat man damals nicht
mal geträumt. Wenn sich heute Arbeit und Freizeit auf alle 168
Stunden der Woche verteilen, dann steckt der ursprüngliche Sinn des
freien Tages tatsächlich in der Krise.
Konkret abschaffen will ihn natürlich niemand. Aber vielleicht
könnte der freie Sonntag trotzdem ein Stück seines eigentlichen
Sinns zurückbekommen. Dann nämlich, wenn er wirklich dazu dient,
zur Ruhe zu kommen. Da hat man sogar die Chance, sich mal wieder
selbst zu begegnen. Ob das nun beim Besuch des Gottesdienstes
geschieht, in der Begegnung mit dem Partner oder einfach in der
Stille. Zeit finden zur Ruhe. Zeit, um zu sich selbst zu kommen. Das
war die Bedeutung des siebten Tages. Wenn das gelingt, dann hätte
der freie Sonntag auf jeden Fall einen Sinn.
Montag, 14. Juli 2003
Du sollst nicht
Es ging alles blitzschnell. Ein kleiner Tumult in der vollen
Fußgängerzone. Leute, die schreien: Haltet ihn! Ich sehe den
jungen Mann gerade noch in rekordverdächtigem Sprint um die
nächste Ecke biegen. Weg ist er – und mit ihm die weiße
Damenhandtasche über seiner Schulter. Wir sind Zeugen eines Raubs
mitten in der Einkaufsstraße.
Die Leute bleiben stehen, schauen ungläubig hinterher. Manche reden
plötzlich aufgeregt miteinander. Getan hat keiner was. Ich auch
nicht! Auf dem Heimweg ging mir durch den Kopf, was man vielleicht
hätte tun können. Hinterher rennen, den Räuber zu Fall bringen
und so weiter. Alles Unsinn, ich hätte es wahrscheinlich doch nicht
getan, so wenig wie all die anderen, an denen er vorbei rannte. Die
Polizei wird den Fall jetzt aufnehmen, die Versicherung
wahrscheinlich zahlen. Das wars dann. Fall abgeschlossen. Alles
wieder in Ordnung.
Nein, nichts ist in Ordnung. Du sollst nicht stehlen, hab ich mal
gelernt und auch: Du sollst nicht begehren, was deinem Nächsten
gehört. Das steht in den 10 Geboten und die sind fast so alt wie
unsere Zivilisation. Keine Erfindung der Kirche zum Spaßverderben
also, sondern die elementarsten Grundregeln, wenn Menschen friedlich
miteinander auskommen wollen. Wer sie grob missachtet, der zerstört
auf Dauer die Basis des Zusammenlebens und so was nervt.
Wahrscheinlich war ich deshalb auch so unzufrieden mit der
mangelnden Zivilcourage – bei denen, die nur gaffend daneben
standen und auch bei mir selbst.
Dienstag, 15. Juli 2003
Schwieriges Geschäft
Fusionen sind manchmal ein verdammt schwieriges Geschäft. Ein
Bericht über die Großfusionen amerikanischer und deutscher
Konzerne hat mich neugierig gemacht.
Vor allem die Zusammenführung der verschiedenen
Unternehmenskulturen hier wie dort, heißt es, koste die Konzerne
viel Zeit, Geld und Energie. Erst wenn diese verschiedenen Kulturen
miteinander verschmolzen sind, läuft der Laden wieder rund.
Ich fühlte mich an die Kirchen erinnert. Was auf dem großen
Christentreffen in Berlin als großes, fröhliches Happening durch
die Abendnachrichten ging, erweist sich im Alltag mitunter als
schwierig: Die Ökumene. Wenn es nämlich im Kleinen klemmt zwischen
den getrennten Christen, liegt das oft gar nicht an den großen
theologischen Differenzen. Es gibt einfach zu viele eingefahrene
Gewohnheiten, aus denen man nur schwer wieder herauskommt. Da sind
Arbeitsformen und Entscheidungsstrukturen, die nicht zusammen
passen, Vorstellungen von christlicher Gemeinde, die auseinander
gehen oder einfach die lange Geschichte gegenseitiger Abwertungen.
Der Wunsch nach Gemeinschaft und guter Wille sind da, viele
Freundschaften über Glaubensgrenzen hinweg sowieso. Nur der
konkrete Weg ist oft mühsamer als gedacht.
Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch, hat der
Apostel Paulus die Christen schon von 1900 Jahren ermahnt. Immer
einmütig sein müssen wir ja gar nicht. Aber oft ginge schon viel
mehr zusammen, wenn wir nur unsere unterschiedlichen Kulturen
zusammenbrächten. Doch das fällt bekanntlich schon den Global
Players schwer, die sich nur der Ökonomie und nicht auch der
theologischen Wahrheit verpflichtet fühlen.
Mittwoch, 16. Juli 2003
Was heißt sozial?
Unser Sozialstaat ist am Ende, überholt, nicht mehr
finanzierbar. Wie oft hab ich den Satz in letzter Zeit gelesen.
Gespart werden müsse, heißt es, vor allem bei den Sozialausgaben.
Da applaudieren die einen, während die anderen von Ungerechtigkeit
und sozialer Schieflage reden. Aber – wann ist eine Gesellschaft
eigentlich sozial gerecht?
Die Kirche hat sich oft dazu geäußert. Da ist dann zum Beispiel
von Solidarität die Rede, ohne die eine Gesellschaft nicht
auskommt. Konkret heißt das: Die Starken, Einflussreichen sollen
sich für die Schwachen mitverantwortlich fühlen und bereit sein,
etwas von ihrem Besitz abzugeben. Und die Schwachen? Die sollen sich
nicht passiv zurücklehnen und alles vom Staat erwarten. Sie sollen
aktiv werden, selbst all das tun wozu sie in der Lage sind. Auch das
gehört zur Solidarität.
Die Frage ist nur, ob wir solche Solidarität überhaupt wollen.
Denn die verlangt jedem etwas ab und zwar freiwillig. Wo allerdings
der Mainstream heißt: Wenn jeder an sich selber denkt, ist an alle
gedacht, wird es schon schwierig. Und wenn es dann vor allem darum
geht, für sich selbst das Meiste rauszuholen, dann ist es aus mit
der Solidarität. Ohne die aber ist der Sozialstaat tatsächlich am
Ende. Und das nennt man dann "sozial ungerecht".
Donnerstag, 17. Juli 2003
Früher
Früher war einfach alles besser! Diesen Satz hab ich schon so
oft gehört. Spätestens dann, wenn man ihn selbst zum ersten Mal
benutzt weiß man, dass man alt wird. Ich ahne ihn bereits, als die
alte Frau beginnt, von ihrer Kindheit zu erzählen. Damals vor 70
Jahren im heutigen Tschechien. Aber der Satz kommt nicht. Sie
erzählt einfach nur davon, wie glücklich sie damals waren mit dem
wenigen, das sie hatten. Wenig Geld, kaum Spielzeug und täglich
harte körperliche Arbeit. Auto, Handy, Fernsehen oder Freizeitpark
– alles Fehlanzeige. Nur etwas, das gab es in ihrem Dorf im
Übermaß: Menschliche Wärme, Hilfsbereitschaft und das starke
Gefühl zusammenzugehören. Ihre Augen leuchten, als sie davon
erzählt und ihr ist anzumerken: Das Glück, das sie damals empfand,
wird wieder lebendig.
Der Krieg hat das Idyll zerstört. Nach der Flucht in den Westen hat
sie es hier zu etwas gebracht. Ein angesehener Beruf, gutes
Einkommen, bescheidener Wohlstand. Sie ist eine kluge Frau, die
Vergangenheit glorifiziert sie nicht. Der berüchtigte Satz, das
früher einfach alles besser war, kommt ihr nicht über die Lippen.
Am Ende sagt sie noch: Heute ist es halt völlig anders. Hektischer,
unpersönlicher, kälter trotz allem Wohlstand und all dem
technischen Fortschritt.
Vielleicht ja auch gerade deswegen, denke ich mir als ich sie
verlasse. Den Satz mag ich noch immer nicht, aber ich bin mir nicht
mehr so sicher, ob er nicht doch ein bisschen Wahrheit enthält.
Freitag, 18. Juli 2003
Europa ohne Gott
Gott muss draußen bleiben. In der Europäischen Verfassung
jedenfalls soll er nicht vorkommen. Gott ist Gott und Staat ist
Staat und das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, sagen die
einen. Die anderen verweisen auf die christlichen Wurzeln unserer
Kultur und auf das christliche Erbe Europas. Für sie ist ein Bezug
auf Gott in der Verfassung unverzichtbar.
Nun verpflichtet die Verfassung alle Bürger. Die Tiefgläubigen
genauso wie die Ungläubigen. Christen, Muslime, Esoteriker,
Atheisten und wen es sonst noch in Europa gibt. Alle sollen sich
schließlich in dieser Verfassung wieder finden können. Darum also
der Verzicht auf Gott als der kleinste gemeinsame Nenner?
Das wäre schade, denn für mich geht es dabei nicht um eine
bestimmte Religion. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben
Gott nach der Erfahrung einer schrecklichen Diktatur nicht umsonst
in unsere Verfassung aufgenommen. Es geht um eine Grundfrage:
Genügen wir uns selbst oder erkennen wir außer uns noch eine
höhere Macht an, wie immer wir sie auch nennen mögen. Eine Macht,
die über uns steht wie auch über jeder Regierung. Sie bedeutet
eine Verantwortung, die nicht nur bis zur nächsten Wahl reicht,
sondern weit über die nachfolgenden Generationen hinaus. Sie kann
aber auch eine Entlastung von der Pflicht bedeuten, für alles
selber verantwortlich zu sein. Vieles können wir noch nicht machen
oder beeinflussen. Diesen Rest dann getrost in die Hände dieser
Macht zu legen, kann sehr befreiend sein.
Für mich und viele andere Europäer heißt diese Macht nun einmal
Gott. Wie immer man sie auch letztlich nennen mag, es wäre schade,
wenn diese Dimension in unserer gemeinsamen Verfassung nicht mehr
vorkommt.
Samstag, 19. Juli 2003
Bunter Tod
"Für Opa von Timo" steht auf einem Bild. Bei einem
Spaziergang hab ich die Kinderzeichnung entdeckt, an einem
ungewöhnlichen Ort: Sie schmückt ein Grab. Der Opa ist letztes
Jahr gestorben, mit 67 Jahren. Mit dem Bild für Opas Grab hat sich
das Kind viel Mühe gegeben, das sieht man der Zeichnung an.
Fröhliche, bunte Farben hat es benutzt. Ein Garten ist auf dem Bild
zu sehen, mit bunten Blumen, Vögeln, Schmetterlingen und lachenden
Menschen. Auch die Sonne scheint. Noch ein zweites Bild steht
daneben. Es zeigt einen Grabstein. Aber auch dort flattern
Schmetterlinge und fröhlich lachende Menschen strahlen mit der
Sonne um die Wette. Vielleicht ist einer von ihnen ja der Opa, der
nun hier begraben liegt.
Der Tod ist bunt für diese beiden Kinder, nicht grau oder schwarz
wie all die Steine drum herum. Das macht ihre Bilder auf diesem
Friedhof so einzigartig. Gewiss werden die beiden traurig sein und
ihren Opa vermissen. Trotzdem lebt er für sie weiter – in
leuchtend bunten Farben. Das volle, bunte Leben haben sie da gemalt,
gerade hier, im Angesicht des Todes.
Trauert nicht wie die anderen, die keine Hoffnung haben, hat der
Apostel Paulus mal geschrieben. (1Thess 4,13) Die Kinder haben das
auf ihre Weise interpretiert. Einfacher und fröhlicher kann man
das, was wir Christen unsere Hoffnung nennen, fast nicht darstellen.
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