GEDANKEN vom 15.-21. Juni 2003

 

ausgewählt von Altfried G. Rempe, Trier, Katholische Kirche

 

 

Sonntag, 15. Juni 2003

vaters sohnes heiligen geistes

ach bitte, erklären sie mir doch mal eben kurz, wie das eigentlich ist mit jesus als gottes sohn – der absender dieser email hatte entdeckt: im sogenannten alten testament kommt jesus ja gar nicht vor – müsste er aber doch, wenn er wirklich seit ewigkeit gottes sohn ist... kein thema für knapp zwei minuten, in der email oder jetzt hier.
oder doch? brauche ich etwa erst ein dickes buch, bevor ich glaube und bete – um zu wissen, zu wem ich da spreche!? natürlich fehlt jesus in den büchern vor seiner zeit: bis da hin haben die menschen gott anders erlebt und verehrt. als mütterlichen und väterlichen, als schöpfer der welt, als gott der lebenden – und das schicksal der toten bleibt im dunkeln. ein GOtt, der sich an bestimmten orten verehren lässt, im tempel etwa. aber zugleich ist er den menschen unendlich fern.
und jetzt, vor zweitausend jahren, kam dieser Jesus daher, hat ganz selbstverständlich "mein vater" gesagt zu GOtt, "väterchen" sogar. und dann haben seine freundinnen und freunde erlebt, dass GOtt ihn durch folter und tod hindurch in ein neues leben geholt hat. da wurde ihnen klar: das war kein "normaler mensch".
in diesem menschen hat GOtt selbst unter uns gelebt; GOtt hat sich mit menschen identifiziert, ist in jedem menschen zu finden. GOtt selbst? ja – und nein. und deswegen haben sie gesagt, damals: GOttes sohn. nur so konnten sie ausdrücken, was sie mit Jesus erlebt hatten. und wieso haben wir jetzt noch kontakt mit ihm – er ist doch nicht mehr zu sehen?
diese kraft hatte Jesus selbst schon "den geist meines vaters" genannt. das ist ihnen eingefallen. und sie haben gemerkt: dieser Geist gibt uns neues leben und neuen mut, bringt uns in verbindung mit GOtt und zu Jesus; denn dieser geist ist auch die liebes-verbindung zwischen vater und sohn. das klingt theoretisch und nach spekulation, ich weiß. praktisch ist es auch einfacher, wenn ich bete.
ich sage einfach: im namen des vaters, des sohnes und des heiligen geistes. amen – so isses.

 

Montag, 16. Juni 2003

david und jonatan

es war eine liebe auf den ersten blick, sozusagen; david, der hirtenjunge, hat gerade mit seiner steinschleuder den riesigen hochgerüsteten kämpfer goliath erschlagen. könig saul fragt ihn, wer er denn eigentlich ist. ich bin der sohn deines dieners isai aus betlehem. schon nach diesen wenigen worten fühlte sich sauls sohn jonatan zu david hingezogen. er gewann ihn so lieb wie sein eigenes leben. originalton die bibel.
und was sich dann entwickelt zwischen dem königssohn jonathan und dem späteren könig david – wer weiß, ob das mehr war als eine männerfreundschaft. aber eine männerfreundschaft war es ganz sicher. eindeutig – und stabil auch in schweren zeiten.
mehrere male versucht könig saul den david umzubringen – er sieht in ihm einen lästigen und gefährlichen konkurrenten. immer wieder sorgt prinz jonatan dafür, dass david sich rechtzeitig in sicherheit bringt. das samuelbuch in der bibel erzählt diese geschichte über ein paar jahre; mehrere szenen sind eindeutig zweideutig – du liebst mich doch. denk daran, dass ich dich liebe wie mich selbst!
schwule christen nehmen diese stellen gern als beispiel dafür, dass die bibel eine liebe zwischen männern durchaus zulässt. dann küssten sie sich, und beide weinten, heißt es bei einem abschied. und schließlich, jonatan ist im krieg getötet worden, hält david große totenklage: mein bruder jonatan, mein bester freund, voll schmerz und trauer weine ich um dich; denn deine freundschaft hat mir mehr bedeutet, als frauenliebe je bedeuten kann!
andererseits: david jedenfalls war auch ein mann der frauen; den ehemann urija hat er sogar an die front geschickt, in den sicheren tod, nur um seine witwe zu kriegen...
ich weiß nicht, ob David und Jonatan schwul waren. und wenn, dann beurteilt die bibel das nicht. das leben ist bunt, auch das leben im heiligen buch der juden und christen. und vielleicht ist das ja auch gut so.

 

Dienstag, 17. Juni 2003

ungewaschene füße

an diesem abend hat meine mutter nicht mal meine füße kontrolliert, ob sie sauber waren. das war für mich unbegreiflich. daran merkte ich, dass irgendetwas nicht stimmte. heute vor fünfzig jahren ist berthold schmidt mit dreckigen füßen ins bett gegangen – möglicherweise.
am siebzehnten juni 1953 ist es zum aufstand gekommen in der damals noch DDR. die versorgung war extrem schlecht, die löhne wurden runter geschraubt statt erhöht... nach der frühstückspause haben es die maurer in der stalinallee nicht bei einem "hey boss, ich brauch mehr geld!" gelassen. sie haben die arbeit niedergelegt und einen streik ausgerufen. und sie haben mehr verlangt: demokratie und mitsprache; einigkeit und recht und freiheit. weg mit der regierung... das ende war blutig. die revolution fand dann doch nicht statt. für mehr als dreißig jahre nahmen stasi und partei das land in ihrem griff. in den letzten wochen haben viele menschen davon erzählt, die diesen teil der deutschen geschichte miterlebt haben. ganz vorne, in der ersten reihe der demonstranten, oder nur am rande – wie berthold schmidt mit den dreckigen füßen. persönlich erlebte und persönlich erzählte geschichte – ich finde das interessanter als fakten aus büchern. sowieso wäre es gut, wenn die menschen wieder mehr erzählen würden – und einander zuhören natürlich.
über wichtige persönliche erfahrungen und über scheinbar unwichtiges, über ihre hoffnungen und wünsche, über ihren glauben und aus ihrer geschichte.
es könnte mehr verständnis dabei herauskommen füreinander – und mehr solidarität. damit noch besser zusammen wächst, was ja doch zusammengehört...
und natürlich müssen alle diese geschichten aufgezeichnet werden, damit auch spätere generationen noch daraus lernen können. – im zweifel sind auch ungewaschene kinder-füße ein teil der geschichte.

 

Mittwoch, 18. Juni 2003

altersgrenze fünfundsiebzig

ich hätte noch fünfundzwanzig jahre – da müsste ich mich ziemlich beeilen: schwierige und teure operationen noch vorher machen lassen. und wenn ich danach mal falle und mir was breche, den oberschenkel zum beispiel: das wäre dann wohl das ende...
jedenfalls wenn es nach den fantasien von ein paar professoren ginge. naja, rechnete einer von ihnen vor: so ungefähr fünfundsiebzig will doch eigentlich jeder gerne werden. und dann ist aber auch genug. teure medizin, aufwändige operationen gar – die lohnen dann nicht mehr. sozialverträgliches absterben, hat das vor ein paar jahren ein anderer genannt.
und jetzt also wieder? auch ein katholischer theologe quatschte so ähnlich herum. "klar, wenn jemand da persönlich betroffen ist," hat er gesagt; "dann wird er sich natürlich wehren. aber dann muss die gesellschaft eben spielregeln machen, dass das friedlich abgeht." mir ist es heiß und kalt über den rücken gelaufen. nur gut, dass die bischofskonferenz zwei tage danach klargestellt hat: der mann berät uns nicht, wenn wir über gesundheitspolitik nachdenken. so was darf man nicht sagen, habe ich in einem internet-forum gelesen. das finde ich nicht: ist doch gut, dass das mal herauskommt – wenn die herren es öffentlich sagen, kann die öffentlichkeit sich auch damit auseinander setzen, kann ihnen kontra geben. aber das reicht nicht.
man muss auch wissen, warum das eine so üble denke ist. ich wüsste so manches, worauf unsere gesellschaft verzichten könnte – ich selber auch – bevor meine 99 jahre alte großmutter ihre teure medizin nicht mehr kriegen darf.
nichts, aber auch gar nichts, ist so viel wert, dass auch nur ein einziges menschenleben dafür geopfert werden darf. warum? sagt mir zum beispiel jesus von nazaret: was ihr einem der schwächsten menschen getan habt, das habt ihr mir getan!

 

Donnerstag, 19. Juni 2003

demonstrationen...

siebzehnter juni 1953: da gab es aufstand in der damals noch DDR – mit streiks und demonstrationen. blutig niedergeschlagen schließlich, von russischen panzern und soldaten im namen des sozialistischen fortschritts.
lange hat es gebraucht, bis dann doch zusammenwachsen konnte, was zusammengehört. vorgestern war gedenktag. neunzehnter juni 2003 – wieder demonstrationen und massenumzüge – überall, wo es katholische gemeinden gibt. panzer und anderes militär sind nicht zu erwarten. den verkehr regeln polizei und freiwillige feuerwehr. und überhaupt: es geht ganz friedlich zu. trotz blasmusik. blumen werden gestreut, männer und kinder tragen feierliche gewänder...
und friedliche lieder werden gesungen – selbst wenn der text schon mal ein bisschen kämpferisch ist: wir sind im wahren christentum...
schon klar: die fronleichnams-prozessionen, die heute überall durch städte und dörfer ziehen, sind vielleicht auch demo – aber revolutionär sind sie nicht. gesellschaftliche veränderung wird da eher nicht gefordert. obwohl: was da gefeiert wird, auf der straße, mit einem stück brot, vorgezeigt und herumgetragen in einem kostbaren vorzeige-gerät, das ist mindestens so revolutionär wie die demos am 17. juni 53 in berlin und überall im deutschen osten waren.
christinnen und christen glauben an einen GOtt, der sich selbst verteilt wie brot. und dieses brot zeigen sie vor – alle sollen es sehen können. mit dieser demo legen sie sich auch fest; ja, die christen verpflichten sich: wir wollen dafür sorgen, dass immer brot für alle da ist. wer nämlich einen GOtt hat wie brot, will sich auch selber verteilen. abgeben vom eigenen überfluss, für mehr gerechtigkeit sorgen, weltweit und ortsnah...
ich hätte nichts dagegen, wenn die eine oder andere prozession heute ein bisschen mehr von dieser umstürzenden kraft freisetzt.

 

Freitag, 20. Juni 2003

heißer draht

der schnelle braune fuchs springt über den faulen hund – eine seltsame nachricht, die regelmässig die erde umkreist; ist auch gar keine nachricht. nur eine testbotschaft. ausgetauscht über den sogenannten heißen draht. die direkte und ständige fernschreibverbindung zwischen dem us-präsidenten im weißen haus in washington und dem russischen präsidenten im moskauer kreml.
solange der fuchs springt, werden keine schlafenden hunde geweckt. das wäre um ein haar passiert in der sogenannten kuba-krise 1962. sowjets und amerikaner hätten beinahe mit atomwaffen aufeinder losgeschlagen – einfach deswegen, weil die beiden chefs keinen direkten kontakt zueinander hatten.
sie waren auf die nachrichten im radio angewiesen – briefe austauschen über diplomatische post – das war viel zu umständlich und langsam. nachrichten im radio sind aber auch nicht gerade eine garantie gegen missverständnisse.
john f. kennedy hat damals vorgeschlagen, eine direkte leitung zu legen – und das passierte am 20. juni 63, vor vierzig jahren, mitten im kalten krieg. seitdem können die chefs direkt miteinander sprechen oder faxen. erst die historiker späterer jahre werden feststellen, wie viele krisen über den heißen draht gleich wieder entschärft wurden. es war sicher einfach psychologisch wichtig: die mächtigen wussten, sie können jederzeit direkt miteinander in kontakt treten. keinen kontakt haben, das gespräch einstellen, nur noch über einander sprechen, nachrichten austauschen über umwege – wo das passiert zwischen menschen, gibt‘s eigentlich keine lebendige beziehung mehr. sondern kalten krieg.
und kalter krieg kann jederzeit explodieren und alles kaputt machen. hoffentlich hat dann jemand für die beiden eine idee wie damals kennedy die mit dem heißen draht. und hoffentlich ist die liebe noch groß genug, wenigstens einen solchen not-draht zu legen – hauptsache, beide können wieder miteinander in kontakt treten – theoretisch wenigstens, aber auch praktisch – und möglichst jederzeit. wenn der schnelle braune fuchs nicht mehr springt, stirbt vielleicht der hund!

 

Samstag, 21. Juni 2003

die kürzeste nacht

eine sensation steht bevor, heute abend und kommende nacht. oder sagen wir: es wäre eine sensation, wenn wir vor zwei-/dreitausend jahren gelebt hätten. die kelten im heutigen britannien oder in frankreich haben riesige steinsäulen und ganze alleen aus hinkelsteinen herbeigeschleppt und aufgestellt – ohne tieflader und kräne!
der ganze aufwand extra für diese eine nacht: die sommersonnenwende. die kürzeste nacht des jahres. sie haben die steine so aufgestellt, dass die sonne nur heute abend genau durch eine bestimmte lücke leuchtet, bevor sie untergeht.
erstaunlich, dass die das damals so genau bestimmen konnten. für uns heute ist das einfach eine besonders schöne nacht. wenn das wetter gut ist, wird es warm sein, und hell, fast gar nicht ganz dunkel. so kurz ist die zeit zwischen sonnenuntergang und – aufgang. allerdings: jetzt werden die nächte wieder länger, die tage dunkler. und vielleicht haben die kelten das in dieser sommersonnenwende-nacht mit eigenen liedern, bestimmten tänzen, einem eigenen kult gefeiert, mit feuer-rädern, die die hügel hinabrollten: sie haben versucht, den sonnen-gott sozusagen festzuhalten.
ihm opfer zu bringen, ihn zu beschwören, dass er nicht verschwindet, immer weniger wird und schließlich ganz weg ist. ob das für die kelten ein schönes fest war? sicher war es auch mit ängsten verbunden. sie waren den göttern so ausgeliefert, so bedroht: was, wenn der sonnengott wirklich weg bleibt?!
die jüdische bibel hat diese angst überflüssig gemacht. sonne mond sterne: das sind keine götter – nur große und kleine lampen am himmel, GOtt hat sie aufgehängt.
so erzählt es der schöpfungsbericht ganz am anfang. aufgang und untergang richten sich nach GOttes stundenplan... natürlich sind wir heute noch ein bisschen besser aufgeklärt; wir wissen genau, warum die nächte länger und kürzer werden ... und trotzdem bleibt ein zauber über dieser nacht – wenn Sie sie feiern: eine schöne mittsommernacht!