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GEDANKEN
vom 08.-14. Juni 2003
ausgewählt von Pfarrer Roland Spur, Esslingen,
Evangelische Kirche
Sonntag, 08. Juni 2003
Pfingstsonntag; Textbezug: Apostelgeschichte 2
Pfingsten ist heute. Ein Fest der Kirche. Die Bibel erzählt, wie
Pilger aus der ganzen Welt nach Jerusalem gekommen waren. Da kam der
Heilige Geist über Jesu Jüngerinnen und Jünger. Und sie redeten und
predigten nur so drauflos! Von einem gemeinsamen Leben in reiner Liebe
und Vergebung und Freiheit, dass manche dachten: "Ey, die sind
aber ganz schön besoffen!" Echt Originalzitat!
Apostelgeschichte, laut Lukas.
Pfingsten gilt manchen als das "Geburtstagsfest der Kirche".
Na ja, und bei Festen geht’s hoch her. Wir wollen mehr als Alltag
und nervtötende Arbeit und ewig das kleinkarierte Rechnen. Feiern
eben! Den Horizont erweitern. Die Schönheit des Lebens erleben.
Geburtstagsfest der Kirche – beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin
vor 10 Tagen war so ’was da. Manchmal hab ich’s genossen, nur in
die Gesichter der vorüberziehenden Menschen zu schauen: gut gelaunt,
locker, heiter.
Damals in Jerusalem vor 2000 Jahren – ob es da auch so
freudestrahlend zuging? Beseelt von einem leichteren Leben, vom
besseren Leben – das sollte nicht anziehend sein? Ist doch
ansteckend! Die gegenseitige Anerkennung! Das Achten unsrer Sehnsucht:
"Wir wollen das Himmelreich auf Erden"! Die ist mit Händen
zu greifen. Das Herz ist erfüllt. Und wir können davon reden. Klar!
Angeregt und begeistert sein – das ist ja nicht dasselbe wie bekifft
und benebelt. Klar sehen: Gott schenkt uns alles in Fülle.
"Wonnetrunken" – so sagen wir doch auch im Deutschen.
Diesen Vorwurf gegen die Christen, sie hätten wohl einen über den
Durst getrunken, weist der Apostel Petrus geschickt und plausibel
zurück. Mit einem Hinweis auf die Uhrzeit: "Liebe Leute, wie
soll das sein? Jetzt ist doch erst neun Uhr!" Überzeugt?
Ich finde, der Vorwurf: "Berauscht!" – der ist trotzdem
nicht so ganz von der Hand zu weisen. Denn die ersten Christen
erfinden den Sozialismus, den Kommunismus. Steht wirklich so in der
Bibel: "Sie hatten alles miteinander." Damit niemand mehr zu
kurz kommt. Und offenbar hatte niemand mehr Angst, selber dabei zu
kurz zu kommen. Heiliger Geist! Der Himmel auf Erden.
Montag, 09. Juni 2003
Gregorian chill-out; Textbezug: EG 126 - veni creator spiritus
Der Heilige Geist weht, wo er will. Für viele ist in den Kirchen
aber oft Windstille. Das liegt oft schon an der Musikfarbe. Nichts
regt sich da. Schade eigentlich, wenn manche damit "die
Kirche" insgesamt abschreiben. »Oma-Musik« nannten meine
Konfirmanden die Lieder im Kirchengesangbuch.
Mittlerweile regt sich aber was! Und sogar bei den Jungen. Tja, bei
jungen Musikliebhabern, die sonst in der Rave- und Technoszene
zuhause sind, haben Kirchen-Melodien Konjunktur! Ausgerechnet
Kirchenmelodien, für die die Bezeichnung "Oma-Musik"
schlicht falsch ist. Weil man noch mal gut 1000 Jahre auf das Alter
von Oma draufpacken muss.
Gregorianische Gesänge und Hymnen, die sind’s. Gesampled zum Puls
vertrauter Rhythmen die schwebenden Klänge aus Klöstern. Melodien
der Mönche. Gregorianik als Raum der Ruhe und Entspannung. Im
Kontrast zum Dröhnen und der Hektik der Disco-Musik. »Gregorian
Chill-out«. Der Heilige Geist weht, wo er will.
Das hat auch der mittelalterliche "Songwriter" gewusst. Er
stammt übrigens aus dem SWR-Sendegebiet: Hrabanus Maurus, Mainz.
Und textete für Pfingsten: »Veni creator spiritus« –
"Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist, besuch das Herz der
Menschen dein." Ein Appell ans Genie (Goethe, am 10. 4. 1820).
Das Lied wird immer wieder neu entdeckt, und übersetzt. Bis heute.
Komm Schöpfer Geist! Come visit our mind!
Improvisieren, phantasieren, kreativ sein: Spielen – dass Musik
mit "Inspiration", mit spirit zu tun hat, wissen
nicht nur Jazz-Liebhaber. »Ermuntert einander mit Psalmen und
Hymnen, wie der Geist sie euch eingibt.« schreibt der
Apostel Paulus in einem Brief (Epheser 5,19).
Musik und Geist, spirit und Spiritus Sanctus – manche
entdecken, wie gut das tut! Und kommen mit gregorianischen Klängen
zum Wohlfühlen und Abschalten. Der Schöpfer Geist, der Heilige
Geist, der spielt gern. Inspiration. Er weht eben, wo er will. Auch
jenseits der üblichen Schranken in der Musikbranche.
Dienstag, 10. Juni 2003
»Hero« der Film; Textbezug: Sprüche 16,32
Raum und Zeit und die Naturgesetze sind aufgehoben, wenn wir
träumen. Ein Traum ist der chinesische Film »Hero«, der letzten
Donnerstag gestartet ist. Ein traumhafter Film. Eine Traumorgie in
Rot, Schwarz, Blau und Gelb, Weiß und Jadegrün – »Hero« führt
Kampfkunst vom Feinsten vor, in unglaublich ästhetischen Bildern,
ein überwältigender Rausch: Kampf-Kunst als Ballett. Noch nie hat
es solche Bilder gegeben, wo jemand so übers Wasser geht, rennt,
tanzt!
Die Story ist pure Poesie: Liebe und Eifersucht, Treue und Intrigen.
Das alles dreht sich um einen Super-Attentäter. Vor 2000 Jahren gab
es in China sieben Königreiche. Ewig der Streit um die
Vorherrschaft. Doch mit unglaublicher Grausamkeit verfolgt der
Herrscher von Qin sein Ziel, alle Königreiche unter seiner
Herrschaft zu vereinen. Damit es endlich einen Kaiser von
China gibt. Nachbarland Zhao schickt Attentäter oder
Tyrannenmörder aus, um den König von Qin zu töten. »Hero«
erzählt eine dieser alten Heldenstories.
Wer wollte kein "Hero" sein, wer wollte nicht als Held
glänzen? In »Hero« geht es nicht nur um die Frage: Wer ist der
beste Kung-Fu-Held, sondern tiefer: Was ist ein wahrer Held? Was
zeichnet ihn aus? Gewalt in höchster Meisterschaft, präzise,
perfekt?
Ich will den Plot dieses wunderbaren Films nicht verraten. Die Bibel
antwortet auf die Frage nach den wahren Helden mit einer
Spruchweisheit: »Geduld bringt weiter als Heldentum. Wer sein
Aufbrausen beherrscht ist besser als einer, der Städte bezwingt.«
[Sprüche 16,32]
Sie kennen das vielleicht von sich selber, aus Ihrer eigenen
Lebenserfahrung, von eigenen Auseinandersetzungen: »Held sein und
Sieger sein ist nicht dasselbe.« (Michael Kevin) Jesus war doch
auch so ein Held. Ein Held, der kein Sieger sein wollte. Sein Traum
vom Menschsein. Von Jesus heißt es übrigens, auch er sei übers
Wasser gegangen. Jesus trug zwar kein Schwert, aber ich kann mir
vorstellen, dass ihm das verblüffende Ende von »Hero« gut
gefallen hätte.
Mittwoch, 11. Juni 2003
»bis zur Vergasung« / Himmler; Textbezug: Römerbrief 11, 18
Worte können Balsam sein! Oder bitter. Wohl tun oder alte Wunden
wieder aufreißen.
»Bis zur Vergasung«. Kennen sie diese Wendung? Ich hab’ diese
Redensart öfters gehört, auch in kirchlichen Kreisen, wo es ums
Aufräumen nach dem Gemeindefest "bis zum bittren Ende"
ging. Ohne Probleme wurde sie so dahergesagt, unbedacht. Früher
übrigens auch von mir. Bis mir dann klar geworden war: Diese
Redensart im Deutschen kommt aus dem III. Reich: »bis zur
Vergasung«.
Heute vor 60 Jahren, am 11. Juni 1943, befahl der Reichsführer SS
Heinrich Himmler die Liquidierung aller jüdischen Ghettos in Polen
und in den besetzten sowjetischen Gebieten. Erschießen. Vergasen.
Verheizen. Ein Akt von solcher Barbarei, für den es keine Worte
gibt.
Lange hat es gedauert, bis auch die Kirchen erkannt haben, dass sie
"mit an den Gleisen nach Auschwitz gebaut" haben: mit
ihrer Predigt, mit ihrer falschen Lehre von Israel. Mit dem
Christentum habe Israel seine Existenzberechtigung verloren. Die
Juden hätten Jesus nicht akzeptiert, so sie haben den Tempel und
ihr Territorium verloren. Sie wurden in alle Welt zerstreut. Zur
Strafe. Die Kirche sei jetzt das Neue Israel. – Himmler übrigens
wurde streng religiös erzogen. Antisemitismus, Antijudaismus,
Judenfeindschaft haben auch kirchliche Wurzeln. In unsrer
entkirchlichten Welt ist das sprachlich zwar nicht mehr so direkt
anzumerken. Aber das Ergebnis ist dasselbe.
So ein Zeichen von einem Reden ohne Juden im Gefühl zu haben, ist
diese Redensart. Wenn Sie die wieder hören sollten, sagen Sie was!
Ich weiß, das ist erst peinlich. Aber wenn ich mir vorstelle,
Auschwitzüberlebende oder ihre Kinder und Enkel würden unser
unbedachtes »bis zur Vergasung« hören – und keiner ringsum sagt
was, dann bekomme den Mut. Also: trauen Sie sich ruhig, andere zu
verbessern. Worte können ja auch lindern!
Donnerstag, 12. Juni 2003
Film »Bruce Almighty«; Textbezug: Psalm 50, 15
Allmächtiger! Eine Kinokomödie spielt in den USA »Matrix
reloaded« glatt an die Wand. »Bruce almighty« ist auf Platz 1!
Fast 140 Millionen $ am ersten Wochenende. »In Bruce we trust«
steht jetzt auf den Plakaten. "In Bruce setzen wir unser
Vertrauen." Nein, nicht Bruce Willis – Jim Carrey spielt
Gott. Mittlerweile sorgt »Bruce Allmächtig« mächtig für Ärger.
In dieser Komödie, die heute in Deutschland anläuft, spielt Jim
Carrey einen nörgeligen Kleinstadt-Reporter. Ständig meckert er an
allem herum und regt sich über jeden Mist auf. Nach einem besonders
bescheuerten Tag schreit er seinen ganzen Frust zum Himmel:
"Wie kannst Du so was zulassen!" und will seinen Glauben
an den Nagel hängen. Aber der liebe Gott erhört ihn und bietet ihm
seinen Job an. "Mach’s Du doch besser!" Und Bruce ist
– für eine Woche – allmächtig. In einer Szene hinterlässt Mr.
Gott (gespielt von Morgan Freeman) seine Nummer auf Jim Carreys
Mobiltelefon.
Seit dem Kinostart in den USA vor zwei Wochen laufen nun die
Leitungen heiß bei einer älteren Frau in South Carolina, bei einer
Künstlerin in Florida und bei einem Radiosender in Colorado: Sie
haben die gleiche siebenstellige Nummer wie im Film. Nur die Vorwahl
ist unterschiedlich. Die alte Frau in South Carolina ist durch die
vielen Anrufen »zu Tode genervt«. Die Künstlerin Dawn Jenkins aus
Florida schimpft, dass sie stündlich bis zu 20 Anrufe bekomme, mit
der Frage »Ist Gott zu sprechen?«. Der Besitzer des Radiosenders
in Denver sagt, seine Rezeptionistin »dreht wegen der zahllosen
Anrufe völlig durch«.
70 Millionen Amerikaner haben den Film sogleich gesehen. Vertreibt
sich nun ein Teil die Zeit mit dummen Scherzen und macht
Telefonstreiche? Oder stimmt am Ende dieser Satz der Werbefritzen
doch: »In Bruce we trust« – und es gibt wirklich so viele
US-Amerikaner, die ihrem Kinderglauben frönen und Gott auf’m
Handy anrufen wollen? Na dann ist seine so genannte Allmacht
offensichtlich doch begrenzt. Also wenn Sie mit ihm reden wollen:
beten Sie. Ist auch gebührenfrei.
Freitag, 13. Juni 2003
Manierlich; Textbezug: Epheserbrief 4,3 f.
Mehr als 200.000 Menschen. Über 3.200 Veranstaltungen. In Berlin
war vor zwei Wochen der erste Ökumenische Kirchentag. Einen
Überblick über das Ganze kann niemand haben. Viele haben das
versucht – aber man pickt sich doch immer nur ein paar Erlebnisse
raus; geht auch gar nicht anders: das Programmheft hatte über 700
Seiten.
Doch ein Eindruck, vielleicht weil er mehr so von der Seite gemacht
wurde, hat sich mir mehrfach bestätigt: Die Stimmung. Es ging
friedlich zu auf dem ÖKT. Und das bei der Riesenzahl. Die Berliner
Verkehrsbetriebe hatten alles an U-Bahnen auf die Schienen gesetzt.
So fuhr die Linie 2 zwischen Zoologischer Garten und dem
Messegelände alle zwei Minuten, über viele Stunden. Vollgestopft
und freundlich! Ziemlich ungewöhnlich für Berlin, da herrscht
sonst ein für unsere Verhältnisse herber, derber Ton. Doch jetzt:
"Geduldig, langmütig und von großer Güte." So waren
alle Fahrgäste, Kirchentagsteilnehmer wie Berliner. Und das
Personal!
Aber dann kam das Pokalendspiel am Samstag. Allein fünf Sonderzüge
aus Kaiserslautern. "Ob dat jut jeht? Kammer nich sagen.
Christen, det is’n Extravolk", sagte mir ein Schaffner auf
dem U-Bahnhof. "Det is janz wat anners als wie die
Fußballfans. Da jibt’s welche, die sind schon um Neune
beschickert. Wenn Alkohol im Spiel is, dann müss’ mer höllisch
aufpassen. Wejen die Meinungsverschiedenheiten unter die Fans. Aber
bei die Christen ist dat allet total friedlich. Obwohl, beim
Abendmahl is ja ooch Alkohol... - Aber da jeht et manierlich
zu."
So sah ein U-Bahnschaffner das Thema "Abendmahl und
Eucharistie". Ja, es ging "manierlich" zu auf dem
Ökumenischen Kirchentag. Allzu manierlich, findet die Mehrheit:
Jeder feiert nach seiner Manier. Denn offiziell ist die katholische
Kirche noch gegen ein gemeinsames Abendmahl. Aber die Fans von Jesu
Fest der Liebe und Versöhnung, die werden auch in Zukunft nicht
locker lassen. Die Kirchen blamieren sich sonst nur, sagen sie. Und
dann steigen sie noch weiter ab, die Kirchen.
Samstag, 14. Juni 2003
»Bruce Allmächtig« – der Film; Textbezug: 1. Mose, Kapitel
3, Vers 5b.
Die Komödie »Bruce Allmächtig« ist vorgestern in unseren
Kinos gestartet.
Gummigesicht Jim Carrey spielt darin den menschenfreundlichen
Provinz-TV-Reporter Bruce Nolan.
Der strampelt sich ab, aber gewisse Leute im Sender machen sich
über ihn lustig, klauen ihm seine Ideen. Sie zitieren seine
Einfälle feixend vor der Kamera"Ätsch!" Bruce flippt
aus, wird gefeuert, sein Auto zerkratzt, weil als er einem bedrohten
Penner geholfen hat. Mit der Freundin läuft’s auch mies. Und der
doofe Hund pinkelt in die Wohnung. Ist symbolisch gemeint: So ist
sein Leben!
Kein Wunder, dass er seinen ganzen Frust Gott rausschreit. "Wie
kannst Du so ’was zulassen! Du machst deinen Job schlecht."
Da erhört ihn der Herr Gott. Und bietet ihm »seinen Job« an:
"Mach’s Du doch besser!" Also wird Jim Carey
allmächtig. »I got the power!«
Rein zufällig wird einer entgegenkommenden Frau der Rock
hochgepustet. Wie lustig! Auch dass Bruce die rote Suppe in seiner
Tasse teilt, wie einst Moses das Rote Meer. Soll komisch sein.
Tomatensuppentheologie! Damit Bruce der Star-Reporter wird,
lässt er – während er wieder live auf Sendung ist – hinter
seinem Rücken einen Meteoriten einschlagen.
»Und er sah, dass es gut war!« So nutzt und so genießt er seine
"Allmacht": Nur für sich! Keinen Fatz kümmert sich der
"allmächtige Bruce" um die Beseitigung ungerechter
Strukturen in der Welt: wie die massenhafte Kinderarbeit
(ausgerechnet der 12. Juni, bei uns der Tag des Kinostarts, war der
internationale Tag gegen Kinderarbeit und –sklaverei!) – oder
die Kindersoldaten im Kongo.
»When God is one of us«, dann hält uns dieser Film einen Spiegel
für "unser Gottsein" vor – kleinkariert, spießig und
ichbezogen: Freie Fahrt für seinen fauchenden Ferrari, einen
dickeren Busen für die Freundin und berufliche Rache – das ist
sein Horizont! So kommt der Mann mit seinem Leben ins Reine.
Logisch, dass jetzt sein Hund – Symbol für sein Leben – auch
endlich korrekt pinkeln gelernt hat. Und zwar ins Klo! Schließlich
sogar im Sitzen. Na Sauber!
Nein, »Bruce allmächtig« ist keine flache Komödie. Der Film
zeigt uns die Wahrheit über unser Leben. Genial gemacht.
»...und ihr werdet sein wie Gott«; 1. Buch Mose, Kapitel 3,
Vers 5b.
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