WORTE vom 01.-07. September 2002

 

ausgewählt von Helmut Siebert, Evangelische Kirche

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 1. September 2002

 

Ein Mensch sagt, er würde an Gott glauben, wenn er Gott sehen könnte.
Da antwortete ihm der Mönch:
"Wenn du wirklich den Wunsch hast, Gott zu sehen, wirst du ihn sehen."
Der Mensch versteht nicht so richtig, was der Mönch damit meint.
"Dann komm mit und lass uns schwimmen gehen², sagte der Mönch.
Und im Wasser sagt der Mönch: "Nun tauche unter."
Kaum ist der Mensch untergetaucht, packt ihn der Mönch und hält ihn unter Wasser fest, 
bis der Mensch erschöpft ist.
Dann lässt er ihn auftauchen.
"Was hast du da unten gefühlt?" fragt der Mönch.
"Ich wollte nur noch atmen, endlich atmen. "
"und wünscht du dir genauso stark, Gott zu sehen?" - "Nein."
"Aber erst wenn du das tust", sagt der Mönch, "wirst du Gott sehen."

von Ramakrishna

 

 

Montag, 2. September 2002 

Der berühmte Clown Grock erhält eines Tages einen Berief, der voll ist von falschen Behauptungen und schlimmen Beschuldigungen.
Seine Freunde raten ihm, den Absender des Briefes zu verklagen.
Auch ein Clown könne ja nicht immer nur lustig sein. Aber Grock winkt ab.
"Ich möchte das anders regeln", sagt der Clown.
Er schickt den Brief zurück an den Absender und schreibt dazu:
"Diesen unverschämten Brief habe ich bekommen.
Ich schicke diesen Brief nun an sie, damit sie wissen, dass irgend jemand in ihrem Namen beleidigende Briefe verschickt.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Clown Grock."

Von Willi Hoffsümmer

 

Dienstag, 3. September "=02

Ein Schwein kommt zu einer Kuh. "Guten Morgen, Kuh",
sagt das Schwein, "Ich muss dich nun doch mal was fragen."
"Ja bitte", sagt die Kuh. "Ich versteh das einfach nicht" ,sagt das Schwein, "die Menschen sprechen immer nur über deine Großzügigkeit.
Zugegeben: Du gibst Milch! Aber von mir haben sie doch viel mehr:
Schinken, Speck und sogar die Borsten.
Und selbst meine Füße verspeisen sie.
Aber niemand hat mich gern. Für alle bin ich bloß das Schwein. Warum?
Die Kuh denkt einen Augenblick nach. Dann antwortet sie:
"Vielleicht ist das so, weil ich etwas abgebe, während ich noch lebe."

Von Kurt Bucher

 

 

Mittwoch, 4. September 2002

Ein Mönch wird zu einen Konferenz in die Hauptstadt eingeladen.
Am Bahnhof holt ihn sein Gastgeber ab.
Als sie auf den Bahnhofsvorplatz kommen, stößt der Gastgeber den Mönch an: "Schnell. Da vorne der Bus. Den können wir noch erwischen."
Und er rennt los und zerrt den Mönch hinter sich her.
Und kaum sind sie eingestiegen, fährt der Bus auch schon los. Aufatmend schaut der Gastgeber auf die Uhr und sagt: "Gott sei Dank! Jetzt haben wir zehn Minuten gewonnen!"
Da fragt der Mönch mit ruhiger Stimme:
"Und was machen wir mit diesen zehn Minuten?

Von Wladimir Lindenberg

 

 

Donnerstag, 5. September 2002

Ein Zimmermann und sein Lehrling gehen durch den Wald.
Als sie auf einen knorrigen, großen, alten wunderschönen Baum stoßen, fragt der Zimmermann seinen Lehrling: Weißt du, warum dieser Baum so groß, so alt und so wunderschön geworden ist?"
Der Lehrling schaut den Baum und dann den Meister an: "Nein. Warum?"
"Deshalb", sagt der Meister, "weil er nutzlos war.
Wäre er für irgendwas brauchbar gewesen, wäre er längst gefällt worden.
Aber erst war er zu knorrig, um Möbel aus ihm zu machen.
Dann war er zu groß, um ihn leicht umhauen zu können.
Und dann war er zu alt und zu morsch geworden.
Deswegen können wir uns jetzt in seinen Schatten setzen und ausruhen."

Von Henri Nouwen

 

 

Freitag, 6. September 2002 

Ein Mensch verirrt sich in der Dunkelheit.
Pechschwarz ist alles um ihn herum; er kann den Weg nicht mehr finden. Er stolpert und fällt zu Boden. Da ertasten seine Hände eine Wand. Der Mensch hält sich an der Wand fest und steht vorsichtig wieder auf – die Hände fest an der Wand. Mit kleinen Schritten folgt er der Wand.
Nur nicht loslassen in dieser Dunkelheit.
Immer weiter geht er an der Wand. Aber die Wand nimmt kein Ende.
Schließlich spürt der Mensch, dass er die ganze Zeit im Kreis läuft.
"Eingemauert", stöhnt er und bricht erschöpft zusammen.
Als er am nächsten Morgen aufwacht, liegt er neben einer Litfasssäule.

Nach Willi Hofsümmer

 

 

Samstag, 7. September 2002

Ein Mensch ist todtraurig, weil er alles allein machen muss, und weil niemand ihn versteht.
Und die Einkaufstüten heute morgen sind so schwer wie noch nie.
Schließlich lässt er die schweren Tüten auf den Boden sinken,
um für eine Weile Atem zu holen.
"Wenn doch einfach der Tod käme und ich sterben würde",
Im gleichen Augenblick ist der Tod zur Stelle und beugt sich über den todtraurigen Menschen.
"Du hast mich gerufen?" fragt er Tod, "was willst du von mir?"
Da erschrickt der Mensch und antwortet ganz schnell:
"Ach nichts, nur dass du mir vielleicht bitte meine Taschen aufhebst." 

nach Willi Hofsümmer