|
WORTE vom 11.8.-17.8.2002
ausgewählt von Altfried Rempe
Katholische Kirche
Sonntag, 11. August 2002
Wo Friede entsteht
Ein Mann hatte zwei Söhne, und als er starb, bekamen beide die Hälfte
seines Landes. Der eine Sohn war reich, aber er hatte keine Kinder, der
andere hatte sieben Söhne und er war arm.
In dieser Nacht konnte der reiche Sohn nicht schlafen. Mein Vater hat sich
geirrt, dachte er, denn ich bin reich, aber mein Bruder ist arm und hat kein
Land für so viele Söhne. Und er stand auf und machte sich auf den Weg, um
noch vor Morgengrauen die Grenzpfähle zu versetzen. Auch der arme Sohn lag
in dieser Nacht wach. Mein Vater hat sich geirrt, dachte er, denn ich habe
meine sieben Söhne, aber mein Bruder ist einsam... Und er stand auf und
machte sich auf den Weg, um noch vor Morgengrauen die Grenzpfähle zu
versetzen. Als der Tag anbrach, begegneten sie einander. Ich sage euch, an
dieser Stelle wird die Stadt des Friedens entstehen.
Huub Oosterhuis; in: Du bist der Atem und die Glut, Freiburg 19964
Montag, 12. August 2002
Der erste Schritt
Schon wieder stand ich mir selber im Weg. "Lass mich durch!"
schrie ich mich an. Ich schwieg. Als ich sah, dass ich an mir nicht
vorbeikam, schlug ich mich mit mir. Ich siegte. Ich verlor. Schließlich
nahm ich mich selber an die Hand und wir gingen den ersten Schritt.
Jochen Mariss: In flagranti - Blickfänge und Sprachspuren, Bielefeld
1987; (gefunden in "Zusammen wachsen" – Neukirchen/Stuttgart
1999, S. 19)
Dienstag, 13. August 2002
Bedauern
Es sagte ein Philosoph zu einem Straßenfeger: "Ich bedaure dich.
Hart und schmutzig ist dein Tagwerk." Und der Straßenfeger sagte:
"Vielen Dank, Herr. Aber sage mir, was für Arbeit tust du?" Der
Philosoph antwortete: "Ich studiere des Menschen Geist, seine Taten und
sein Verlangen." Da fuhr der Straßenfeger fort zu fegen und sagte mit
einem Lächeln: "Ich bedaure dich auch."
Khalil Gibran; aus : Sand und Schaum, Zürich/Düsseldorf 1976; (zitiert
nach: "Zusammen wachsen", Neukirchen/Stuttgart 1999, S. 21)
Mittwoch, 14. August 2002
Ein Wunder
Herr Neuhaus spürt genau, wie es um ihn steht. Der Arzt hat ihn fast
aufgegeben. Verzweiflung und Hoffnung wechseln... Jeden Tag macht er wieder
neu mit sich selbst aus, dass er sein Leben zurückgeben will. Und jeden Tag
kämpft er wieder neu um sein Leben.
Laut schreit er seine Gebete zum offenen Fenster hinaus: "Gott, wenn es
dich gibt, so zeige deine Macht jetzt, da ich dich brauche!"
Vier Tage später schüttelt der untersuchende Arzt den Kopf. Er misst den
Blutdruck ein zweites Mal. Dreimal schaut er die Laborwerte an. Schließlich
fragt er: "Was ist passiert, Herr Neuhaus? Von einem Tag auf den
anderen sind alle Werte viel besser. Ihr Überleben scheint gesichert. Was
ist mit Ihnen geschehen?" Herr Neuhaus lächelt. Langsam nickt er mit
dem Kopf und sagt: "Ja, es ist etwas passiert – gestern Nachmittag.
Mein sechsjähriger Enkel hat mich besucht. Er hat zu mir gesagt: ‚Großvater,
jetzt musst du wirklich bald nach Hause kommen, mein Fahrrad ist kaputt!‘
"
Martin Lienhard; (zitiert nach "Zusammen wachsen"
Neukirchen/Stuttgart 1999)
Donnerstag, 15. August 2002
Marien-Heiligtum
An Sommerabenden um die Zeit des Sonnenuntergangs ist der kleine Platz
vor der Waldkirche der schönste Platz in der ganzen weiten Gegend. ...
Hundertmal habe ich diese Madonna belauscht, tausendmal sie von ferne
gesehen, manche Dutzend Male ... durch das Fensterlein zu dem goldenen (Marien-)Bilde
hineingeäugt. Sie wäre so recht ein Heiligtum für Menschen von meiner
Art, und es ist eigentlich schade, dass ich gar nicht Katholik bin und gar
nicht richtig zu ihr beten kann. Was ich indessen dem heiligen Antonius und
dem heiligen Ignatius nicht zutraue, das traue ich doch der Madonna zu: dass
sie auch uns Heiden verstehe und gelten lasse....
Sie ist im Tempel meiner Frömmigkeit neben der Venus und neben dem Krischna
aufgestellt ... (Aber als) Gleichnis für den lebendigen... Lichtschein, der
... das Licht der Liebe entzündet, ist die Mutter Gottes mir die heiligste
Gestalt aller Religionen...
Hermann Hesse, Madonnenfest im Tessin; in: Gesammelte Werke, Band VI,
Frankfurt 1990, 332337, zitiert nach Karl-Josef Kuschel, Maria...,
gefunden in Schweizerische Kirchenzeitung, 31/32 (August 2001)
Freitag, 16. August 2002
Spätsommertag
Als er auf die Straße trat, war heller Morgen... Kommissar Wallander
atmete ein paar Mal tief durch. Es würde wieder ein schöner Spätsommertag
werden. Ihm war, als empfinde er erst jetzt, wie überwältigend die Trauer
um den Kollegen Svedberg sein würde. Ob sie nun dem Menschen galt oder nur
eine Reaktion darauf war, dass man sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst
geworden war. Wallander spürte auch Angst. Der Tod hatte ihn gestreift. Es
war anders als beim Tod seines Vaters. Das erschreckte ihn. Es war fünf vor
halb sieben, uns es war Freitagmorgen, der 9. August. Wallander ging langsam
zu seinem Wagen. Im Hintergrund begann ein Betonmischer zu scheppern. Zehn
Minuten später betrat Wallander das Polizeipräsidium.
Henning Mankell, Mittsommermord; dtv, München 20023, S. 91-92
Samstag, 17. August 2002
Hilf
mir, Gott!
Die Flut geht mir bis an die Kehle!
Ich versinke im brodelnden Schlamm,
meine Füße finden keinen Halt.
Ich treibe ab in tiefes Wasser,
die Strömung reißt mich mit sich fort!
Ich bete zu dir, HERR!
Hilf mir in der Stunde, die du bestimmst!
Du bist so reich an Güte,
darum erhöre mich!
Du bist doch der Retter, auf den Verlass ist.
Lass mich nicht im Schlamm versinken,
zieh mich heraus!
Zieh mich heraus aus dem tiefen Wasser!
Sonst treibt die Strömung mich fort,
der Abgrund verschlingt mich,
die Grube schließt sich über mir!
Erhöre meine Bitte, HERR,
denn deine Güte tut mir wohl;
wende dich mir zu in deinem Erbarmen!
Ich bin voller Angst, erhöre mich bald!
Komm zu mir, befreie und rette mich.
Die
Bibel in Psalm 69 – ein Gebet für diese Tage
|