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WORTE
vom 28.07.-03.08.2002
ausgewählt von Christine
Endres, Oberursel, Katholische Kirche
Sonntag, 28. Juli
2002
Im
täglichen Erleben macht jeder von uns die alte Erfahrung, dass keine
Beziehung, keine Freundschaft, kein Gefühl uns treu bleibt und zuverlässig
ist, dem wir nicht Liebe und Mitgefühl, Opfer und Kämpfe dargebracht
haben. Jeder weiß und erlebt es, wie leicht es ist, sich zu
verlieben, und wie schwer und schön es ist, wirklich zu lieben. Liebe
ist, wie alle wirklichen Werte, nicht käuflich. Es gibt einen käuflichen
Genuss, aber keine käufliche Liebe.
Aus:
Hermann Hesse, „Wer lieben kann, ist glücklich“
Montag,
29. Juli 2002
Als
Kinder haben wir das so oft erlebt, dass man an irgendeiner Tafel, in
irgendeiner Schule, oder Kirche sitzt und bis in die Nase und Augen
hinauf geladen ist mit mächtiger, wohlbegründeter Lachlust und doch
nicht lachen darf und irgendwie damit fertig werden muss, des Lehrers
wegen, der Eltern wegen, der Ordnung und des Gesetzes wegen. Ungern
glaubten und gehorchten wir diesen Lehrern, diesen Eltern und waren
sehr erstaunt und sind es heute noch, wenn hinter ihren Ordnungen,
Religionslehren und Sittenlehren als Autorität jener Jesus stehen
sollte, der doch gerade die Kinder seliggesprochen hat. Sollte er
wirklich bloß die Musterkinder gemeint haben?
Aus:
Hermann Hesse, „Wer lieben kann, ist glücklich“
Dienstag,
30. Juli 2002
Es
ist kein Glück geliebt zu werden. Jeder Mensch liebt sich selber,
aber lieben, das ist Glück.
Aus:
Hermann Hesse, „Wer lieben kann, ist glücklich“
Mittwoch,
31. Juli 2002
Mit
der Liebe ist es geradeso wie mit der Kunst: wer nur das Größte zu
lieben vermag, der ist ärmer und geringer, als wer am Kleinsten aufglühen
kann. Es ist wunderlich mit der Liebe, auch in der Kunst. Sie vermag,
was alle Bildung, aller Intellekt, alle Kritik nicht vermag, sie
verbindet das Fernste, stellt das Älteste und Neueste nebeneinander.
Sie überwindet die Zeit, indem sie alles aufs eigene Zentrum bezieht.
Sie allein gibt Sicherheit, sie allein hat recht, weil sie nicht recht
haben will.
Aus:
Hermann Hesse, „Wer lieben kann, ist glücklich“
Donnerstag,
1. August 2002
Es
ist ein merkwürdiges, doch einfaches Geheimnis, dass jede kleinste
selbstlose Hingabe, jede Teilnahme, jede Liebe uns reicher macht, während
jede Bemühung um Besitz und Macht uns Kräfte raubt und ärmer werden
lässt. Das haben die Inder gewusst, und dann die weisen Griechen, und
dann Jesus und seither noch Tausende von Weisen und Dichtern, deren
Werke die Zeit überdauern, während Reiche und Könige ihrer Zeit
verschollen und vergangen sind. Ihr mögt es mit Jesus halten oder mit
Plato, mit Schiller oder mit Spinoza, überall ist das die letzte
Weisheit, dass weder Macht noch Besitz noch Erkenntnis selig macht,
sondern allein die Liebe.
Aus:
Hermann Hesse, „Wer lieben kann, ist glücklich“
Freitag,
2. August 2002
Jedes
Selbstlossein, jeder Verzicht aus Liebe, jedes tätige Mitleid scheint
ein Weggeben, und ist doch ein Reicherwerden und Größerwerden, und
ist doch der einzige Weg, der vorwärts und aufwärts führt. Es ist
ein altes Lied und ich bin ein schlechter Sänger und Prediger, aber
Wahrheiten veralten nicht, ob sie nun in einer Wüste gepredigt, in
einem Gedicht gesungen oder in einer Zeitung gedruckt werden.
Aus:
Hermann Hesse, „Wer lieben kann, ist glücklich“
Samstag,
3. August 2002
Ein
alter Mann besaß ein Gut in den Bergen. Eines Tages verlor er eins
von seinen Pferden. Die Nachbarn kamen, um dem Alten ihr Beileid zu
sagen, doch er fragte: „Woher wisst ihr, dass das ein Unglück
ist?“ Einige Tage darauf kam das Pferd wieder und brachte ein ganzes
Rudel Wildpferde mit. Wiederum kamen die Nachbarn und wollten ihre Glückwünsche
überbringen. Der Alte aber sagte: „Woher wisst ihr, das es ein Glücksfall
ist?“ Nun begann der Sohn des Alten das Reiten der vielen Pferde und
brach sich ein Bein. Und wieder kamen die Nachbarn und wieder sprach
der Alte: „Woher wisst ihr dass es ein Unglück ist?“ Als die
Soldaten des Kaisers ins Dorf kamen, um die jungen Männer zu holen,
verschonten sie den Sohn mit dem gebrochenen Bein. Der Alte musste lächeln.
Nach:
Hermann Hesse, „Wer lieben kann, ist glücklich“
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