WORTE vom 24.-30.03.2002

 

ausgewählt von Altfried Rempe, Katholische Kirche

 

 

 

 

 

 

Palmsonntag, 24. März 2002

Ein Segenswunsch

Ich wünsche dir, dass du dann und wann einem Menschen begegnest, der dich durch seine Augen in seine Seele eintreten lässt, dem du dich vertraut fühlst vom Augenblick der Begegnung an, der dich in deiner Tiefe berührt und das lähmende Einerlei deiner Alltäglichkeiten in eine sprudelnde Quelle verwandelt, aus der du neues Leben schöpfen kannst.
Ich wünsche dir, dass du in seiner Nähe Geborgenheit erfährst und dass dir seine Liebe ein Zuhause gibt.

Christa Spilling-Nöker, Der Himmel ist in dir; (Segensworte. Verlag am Eschbach 2000)

 

 

Montag, 25. März 2002

Niemals Gewalt

Ja, aber wenn wir unsere Kinder nun ohne Gewalt und ohne irgendwelche straffen Zügel erziehen, entsteht dadurch schon ein neues Menschengeschlecht, das in ewigem Frieden lebt? Etwas so Einfältiges kann sich wohl nur ein Kinderbuchautor erhoffen! Ich weiß, dass es eine Utopie ist. Und ganz gewiss gibt es auch in unserer armen, kranken Welt noch sehr viel anderes, das gleichfalls geändert werden muss, soll es Frieden geben. Aber in dieser unserer Gegenwart gibt es selbst ohne Krieg so unfassbar viel Grausamkeit, Gewalt und Unterdrückung auf Erden und das bleibt den Kindern keinesfalls verborgen. Sie sehen und hören und lesen es täglich, und schließlich glauben sie gar, Gewalt sei ein natürlicher Zustand. Müssen wir ihnen dann nicht wenigstens daheim durch unser Beispiel zeigen, dass es eine andere Art zu leben gibt?... Niemals Gewalt! Es könnte trotz allem mit der Zeit ein winziger Beitrag sein zum Frieden in der Welt.

Astrid Lindgren; Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels; in: Gugel, Günther, Jäger, Uli, Gewalt muss nicht sein, Tübingen 1995

 

 

Dienstag, 26. März 2002

Das Ärgernis

Wendet euch nicht ab, sondern schauet ihr braven Bürger den jungen Neonazis die in euerem Staat von neuem den Glauben an den alten Irrsinn gelernt haben tief in die Augen.
Ihr schaut nicht
genau genug hin, wenn ihr in diesen blauen oder braunen oder auch grauen Augen nicht einen Augenblick lang euer eigenes Spiegelbild seht.

Erich Fried, Das Ärgernis; (Gesammelte Werke, Wagenbach/Berlin 1993)

 

 

Mittwoch, 27. März 2002

Lob der kleinen Schritte

Wir loben die kleinen Schritte. Den Mann, der das voreilige Wort nicht ausspricht. Die Stimme, die sagt: Pardon, ich bin schuld. Die über den Zaun des lästigen Nachbarn gestreckte Hand.
Wir loben die kleinen Schritte. Die Faust in der Tasche. Die nicht zugeschlagene Tür. Das Lächeln, das den Zorn wegnimmt.
Wir loben die kleinen Schritte. Das Gespräch der Regierungen. Das Schweigen der Waffen. Die Zugeständnisse in den Verträgen.
Wir loben die kleinen Schritte. Die Stunde am Bett des Kranken. Die Stunde der Reue. Die Minute, die dem Gegner recht gibt.
Wir loben die kleinen Schritte. Den kritischen Blick in den Spiegel. Die Hoffnungen für den anderen. Den Seufzer über uns selbst.

Rudolf Otto Wiemer, Lob der kleinen Schritte

 

 

Gründonnerstag, 28. März 2002

Gefangene

Mai 1946

Jemand berichtet aus Berlin: Ein Dutzend verwahrloste Gefangene, geführt von einem russischen Soldaten, gehen durch eine Straße... Irgendwohin; sie wissen nichts über ihre Zukunft...
Plötzlich geschieht es, dass eine Frau, die zufällig aus einer Ruine kommt, aufschreit und über die Straße heranläuft, einen der Gefangenen umarmt – der Trupp muss stehen bleiben, und auch der Soldat begreift natürlich, was sich ereignet hat; er tritt zu dem Gefangenen, der die Schluchzende im Arm hält, und fragt:
"Deine Frau?" "Ja - ." Dann fragt er die Frau: "Dein Mann?" "Ja - ." Dann deutet er ihnen mit der Hand: "Weg – laufen, laufen – weg!"
Sie können es nicht glauben, bleiben stehen; der Russe marschiert weiter mit den elf andern, bis er, einige hundert Meter später, einem Passanten winkt und ihn mit der Maschinenpistole zwingt, einzutreten: Damit das Dutzend, das der Staat von ihm verlangt, wieder voll ist.

Max Frisch, Tagebuch 1946 – 1949; (Frankfurt: Suhrkamp 1950)

 

 

Karfreitag, 29. März 2002

Das heilige Land schreit

Das Heilige Land versinkt im Blut. Der Teufelskreis von Rache und Vergeltung nimmt kein Ende. Blut, Tote, zerfetzte Körperteile, zerstörte Häuser – mein Alltag, mein Wahnsinnsalltag! Schwarzer Rauch liegt wie ein Trauerschleier über Betlehem. In mir ist eine unsagbare Leere. Die Bomben fielen etwa 400 m Luftlinie von meinem Haus. Meine Tochter hat sich in den Schlaf geweint. Ihre Angstschreie hallen noch in meinen Ohren. Ich möchte beten. Herr, erbarme dich über dieses Land! Mach dem sinnlosen Töten ein Ende! Nimm den Hass aus den Herzen! Gib Scharon die Einsicht, dass es keine militärische Lösung gibt! Und dass es nicht heißen kann: "Wir oder sie!", sondern nur: "Wir und sie!" Bitte, helfen Sie uns zu beten, beten Sie für uns, vergessen Sie uns nicht!!! Danke und Salam!

Faten Mukarker, Beit Jala/Bethlehem – am 8. März 2002

 

 

Karsamstag, 30. März 2002

Leben

Aber leben bleiben
Ich lebe und du sollst leben
Leben heißt Krieg hassen
Leben heißt Friede heißt Hoffnung
Leben heißt unsere Zeit retten
auch uns selbst
Wir wollen leben
Wir wollen nicht töten und sterben
Leben! Nicht töten wollen!
Leben heißt gegen den Tod sein
Leben heißt leben
und für das Leben sein
Leben gegen den Strom
Leben gegen den Hass
Nicht der Feind ist der Tod
sondern der Tod ist
Der Feind

Erich Fried: Leben (Gesammelte Werke, Berlin: Wagenbach 1993)