WORTE vom 19.-25.08.2001

 

ausgewählt von Herbert Vincon, Evangelische Kirche

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 19. August 2001

Das Glück ist ein Dauerzustand, der für den Menschen nicht gemacht zu sein scheint.
Alles ist auf der Erde in unaufhörlicher Bewegung, die keinem Ding eine dauerhafte Gestalt anzunehmen erlaubt.
Alles um uns verändert sich. Wir selbst verändern uns, und keiner kann sicher sein, dass er morgen das lieben wird, was er heute liebt.
Alle Pläne für die Glückseligkeit in diesem Leben sind also Hirngespinste. Nutzen wir die Zufriedenheit des Geistes, wenn sie kommt!
Hüten wir uns, sie durch unsere Schuld zu vertreiben, aber machen wir keine Pläne, wie wir sie festhalten könnten, denn solche Pläne sind nichts als Torheit.
Ich habe wenige glückliche Menschen gesehen, vielleicht gar keinen; Aber oft sah ich zufriedene Herzen, und von allen Dingen, die auf mich Eindruck machten, war es dieser Anblick, welcher mich selbst am meisten befriedigte.

Jean-Jacques Rousseau, Aus den "Träumereien des einsamen Spaziergängers"

 

 

Montag, 20. August 2001

In unserer Zeit herrscht ein schrecklicher Aberglaube. Er besteht darin, dass wir begeistert jede Erfindung aufgreifen, welche die Arbeit erleichtert, und glauben, sie unbedingt nutzen zu müssen, ohne uns die Frage vorzulegen, ob diese die Arbeit erleichternde Erfindung unser Glück vermehrt oder vielleicht Schönheit zerstört.

Aus den Tagebüchern von Leo Tolstoi (Tagebücher 1847-1910, Seite 654)

 

 

Dienstag, 21. August 2001

Ich zweifle stark an der Fähigkeit des Menschen, sein Leben und das von anderen irgendwie bewusst zu bilden und zu formen.
Man kann Geld erwerben, auch Ehren und Orden, aber Glück oder Unglück erwirbt man nicht, nicht für sich und nicht für andere.
Man kann nur hinnehmen, was kommt, und man kann es freilich auf ganz verschiedene Weisen hinnehmen.
Was mich angeht, so will ich keinen gewaltsamen Versuch mehr machen, mein Leben auf die Sonnenseite hinüber zu spielen, sondern das mit Bestimmte annehmen und nach Kräften tragen und zum Guten wenden.

Aus dem Roman "Gertrud" von Hermann Hesse (Gesammelte Werke 3, Seite 137. Suhrkamp Verlag)

 

 

Mittwoch, 22. August 2001

Der Mensch, der keine Zeit hat und das ist eines unserer Kennzeichen – kann schwerlich Glück haben.
Notwendiger Weise verschließen sich ihm große Quellen und Mächte wie die Muße, des Glaubens, der Schönheit in Kunst und Natur.
Damit entgeht ihm die Krönung, der Segen der Arbeit, der in Nicht-Arbeit, und die Ergänzung, der Sinn des Wissens, der im Nicht-Wissen liegt.
Man könnte befürchten, dass der Schwund sich einem Punkte nähert, an dem er nicht mehr als solcher empfunden wird – einem Punkt, an dem Komfort das Glück ersetzt.

An der Zeitmauer, von Ernst Jünger (Sämtliche Werke Band 8, Seite 439f.)

 

 

Donnerstag, 23. August 2001

Ja, das Glück wäre schon recht, aber wer weiß, ob’s nicht ein falsches ist.
Und ein falsches Glück ist ein echtes Unglück.

Aus "Jakob der Letzte" von Peter Rosegger, (Gesammelte Werke Band 2, Seite 482)

 

 

Freitag, 24. August 2001

Manche Leute glauben, man könne nur glücklich sein, wenn man Lärm macht. Ich finde es eine viel zu delikate und melancholische Angelegenheit für Lärm. Denn Glücklichsein hat etwas Melancholisches – Wie eine sehr schöne Landschaft, wie diese Bäume heute, und der Rasen und die Wollen und die Sonne. Von außen betrachtet erscheint es sogar ziemlich langweilig.

Aus dem Roman "Narrenreigen" von Aldous Huxley (Seite 178)

 

 

Samstag, 25. August 2001

Das Glück

Halte das Glück, wie den Vogel: so leise und lose wie möglich!
Fühlt er sich selber nur frei, bleibt er dir gern in der Hand.

Ein Epigramm von Friedrich Hebbel (Werke in zwei Bänden. Erster Band, Seite 66)