WORTE vom 05.-11.08.2001

 

ausgewählt von Annette Bassler, Evangelische Kirche

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 05. August 2001

Unterwegs daheim sein

Als ich einmal durch ein Schwarzwaldtal fuhr, lag unter mir, in einer Senke, ein großer, alter Bauernhof. Aus einem Fenster fiel warmes Licht in die Dämmerung hinein.
Dieser Lichtschein strahlte eine solche Geborgenheit aus, dass ich dachte:
Schön wäre es, jetzt dort in der Küche zu sitzen, mit Freunden zu reden, statt schon wieder unterwegs zu sein.
Einen Moment lang war ich ganz sehnsüchtig und wusste zugleich, dass ich nicht bleiben konnte. Aber ich fuhr anders weiter als vorher. Irgendwie- getröstet.
Das gab es also noch. Einen Ort, an dem das Licht ins Dunkel schimmert.
Ein Ort, an dem ich geborgen sein kann.
Vielleicht war es gut, dass ich vorbeifahren musste.
Möglicherweise wäre ich ziemlich ernüchtert worden von der Wirklichkeit.
So aber bleibt mir das Bild von dem dunklen Hof im Tal, mit dem erleuchteten Fenster, aus dem ein warmes Licht fällt. Und ich trage es wie einen Schatz in meinem Herzen.

Andrea Schwarz

 

 

Montag, 06. August 2001

Mut kennt die Angst

Wer die Angst nicht kennt
Ist auch nicht mutig
Schlimm ist nur die Angst vor der Angst

Die Angst will dir helfen
Will dir Wichtiges sagen
Sie weiß
Es wird Zeit
Etwas zu tun
Hab Vertrauen zu deiner Angst
Und stell dich
Dem wachsenden Mut nicht entgegen
Er wird stark sein
Zur richtigen Zeit

Andrea Schwarz

 

 

Dienstag, 07. August 2001

Gefährte

n der Unsicherheit
meines Weges tust du mir gut
Heimat
Bist du die mich
im Aufbruch begleitet

nach Andrea Schwarz

 

 

Mittwoch 08. August 2001

Hab ich ihr je gesagt, dass sie ein Segen war für mein Leben?
Hab ich ihr gedankt
Für die helle Spur, die sie zeichnete
In die karge Landschaft meiner Kindheit?
Sie hat mir Kosenamen geschenkt, die mich noch heute wärmen.
Immer war ich willkommen in dem Haus, dem sie die Seele gab.
Nicht, dass sie stark gewesen wäre von Natur aus.
Sie war eine Liebende.
Sie war begnadet und hat es nicht gewusst.
Und ich danke ihr, dass sie bei uns war an einem Grab

Antje Sabine Naegeli

 

 

Donnerstag, 09. August 2001

Der Wind will sie befreien
Der Baum hält sie fest
Das Bündnis beider Kräfte
Die Blüten tanzen lässt

Tagore

 

 

Freitag, 10. August 2001

Von Zeit zu Zeit sollten wir uns verschiedene Fragen stellen, um unsere Handlungen in die richtige Richtung zu führen.
Wir sollten uns fragen: Kenne ich die Armen?
Kenne ich- an erster Stelle- die Armen in meiner Familie, diejenigen, die mir am nächsten stehen - Menschen, die arm sind, jedoch nicht, weil es ihnen an Brot fehlt?
Es gibt andere Arten von Armut, die genauso schmerzhaft sind, da sie wesentlicher sind.
Vielleicht ist das, was meinem Freund, meinen Kindern, meinen Eltern fehlt, nicht Kleidung oder Nahrung.
Vielleicht fehlt ihnen Liebe, weil ich sie ihnen nicht gebe?

Mutter Theresa

 

 

Samstag, 11. August 2001

Ein angesehener und berühmter Rabbi wird gebeten, in der Nachbargemeinde zu sprechen.
Da er nicht erkannt werden will, reist er in schäbiger Kleidung.
Die Leute im Zug tuscheln missbilligend über den zerlumpten Alten.
Als der Rabbi am Bahnhof ankommt, wird er von den Würdenträgern der Gemeinde, die taktvoll sein Aussehen übergehen, mit Wärme und Hochachtung empfangen.
Diejenigen, die sich im Zug über ihn lustig gemacht hatten, erkennen ihren Irrtum und bitten ihn sofort um Vergebung. Aber der alte Mann schweigt.
In den darauffolgenden Wochen bitten sie ihn immer wieder um Vergebung. Er aber schweigt.
Schließlich suchen sie ihn am Tag der Versöhnung auf. Jetzt aber denken sie, jetzt muss er verzeihen. Aber er sagt kein Wort.
"Wie kann ein heiliger Mann an diesem Tag seine Vergebung verweigern?" rufen sie empört.
Darauf der Rabbi. "Ihr habt euch die ganze Zeit an den falschen Mann gewandt.Ihr müsst den Mann im Zug um Vergebung bitten."