Sonntag, 01. Juli 2001
Die Christen leben wie Gänse auf einem Hof. An jedem siebten Tag wird
eine Parade abgehalten, und der beredsamste Gänserich steht auf dem Zaun
und schnattert über das Wunder der Gänse. Erzählt von den Tagen der
Vorfahren, die einst zu fliegen wagten, und lobt die Gnade und
Barmherzigkeit des Schöpfers, der den Gänsen Flügel und den Instinkt
zum Fliegen gab.
Die Gänse sind tief gerührt, senken in Ergriffenheit die Köpfe und
loben die Predigt und den beredsamen Gänserich. Aber das ist auch alles.
Eines tun sie nicht: sie fliegen nicht. Sie gehen zu ihrem Mittagsmahl.
Sie fliegen nicht, denn das Korn ist gut und der Hof ist sicher.
Ein Gedanke von Sören Kierkegaard
Montag, 02. Juli 2001
Man sollte aus einer Erfahrung nur jene Weisheit schöpfen, die darin
enthalten ist. sonst werden wir wie die Katze, die sich auf einen heißen
Deckel setzte.
Sie setzt sich auf keinen Deckel mehr. Auch nicht auf einen kalten Deckel.
Ein Gedanke von Mark Twain:
Dienstag, 03. Juli 2001
Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann lasse ich so schnell
nicht locker und meine Ideen haben meine Mitarbeiter manches Mal in
Verlegenheit gebracht. Zu Beginn meiner Amtszeit als Ministerin sagte ich
meist was ich wollte und auf welchem Weg ich es wollte. Und die Experten
antworteten: so geht es nicht, das passt nicht ins System, gesetzliche
Bestimmungen stehen dem entgegen.
Jetzt stelle ich es schlauer an. Ich nenne mein Ziel und bitte meine
Fachleute, Wege dahin vorzuschlagen. Das setzt Kreativität frei, wir
haben schon schier Unmögliches geschafft.
Eine Erfahrung von Regine Hildebrand
Mittwoch, 04. Juli 2001
Niemand hat heute eine Vision. Niemand sagt, was werden soll und wo es
langgeht. Das geistige Leben ist durch Ratlosigkeit und beklemmende Leere
charakterisiert. Es muss doch möglich sein, die marktwirtschaftlichen
Strukturen so zu ergänzen, dass die Menschen veranlasst werden, sich
menschlich zu verhalten und nicht wie Raubtiere nach Beute zu gieren.
Eine Beobachtung von Marion Gräfin Dönhoff
Donnerstag, 05. Juli 2001
Ein Fuchs aus Frankreich, wegen mir auch von hier, sah wunderschöne
Trauben oben im Spalier des Weinstocks rot und glänzend hängen. Er
hätte gern davon genascht. Aber sie hingen viel zu hoch für ihn. Da er
nicht dran kam, sagte er: "Sie werden sauer sein."
Aus einer Fabel von Jean de La Fontaine:
Freitag, 06. Juli 2001
Man muss dort die Angel werfen, wo die Fische sind, und nicht erwarten,
dass sie zu einem kommen. Manche Leute ziehen es vor, es sich am Ufer
bequem zu machen, satt sich auf die glitschigen Felsen zu wagen oder in
der Mitte der Strömung zu stehen.
Ein Gedanke von Bror Jonzon:
Samstag, 07. Juli 2001
Wer fragt: " Was hat man zu tun?" für den gibt es keine
Antwort.
"Man" hat nichts zu tun. "Man" kann sich nicht helfen,
mit "Man" ist nichts mehr anzufangen. Mit "Man" geht
es zu Ende.
Wer aber die Frage stellt: "Was habe ich zu tun?" den nehmen die
Menschen bei der Hand, die er nicht kannte und die ihm alsbald vertraut
werden und antworten: "Du sollst dich nicht vorenthalten."
Ein Gedanke von Martin Buber