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Worte der Woche
ausgewählt von Stephan
Wahl, Katholische Kirche
Das Wort der Woche
Sonntag, 22. April 2001
Was wir brauchen
Was wir nicht so sehr brauchen, und zwar nicht nur bei uns, sondern auf
der ganzen Welt, das sind Arrogante, Hochmütige und Eingebildete, die
immer noch meinen, nur sie allein würden dringend gebraucht.
Was wir brauchen, sind Demütige, die aus Liebe und Respekt vor jeder
Kreatur wissen, dass sie nur mit allen anderen - nur mit allen anderen
zusammen etwas wert sind. Nicht der Alleskönnende, nicht der
Alleswissende und der Allesbeherrschende, sondern der sich Bescheidende,
der mit dem Herzen die Wissenschaft vermenschlicht und mit Heiterkeit die
Herrschaften verunsichert.
Hanns Dieter Hüsch, Das Schwere leicht gesagt, (tvd-Verlag,
Düsseldorf 1997)
weitere Worte der Woche
Montag, 23. April 2001
Das Schaf
Ein Mensch, der einen andern traf, geriet in Streit und sagte:
"Schaf!"
Der andre sprach: "Es wäre Ihr Glück, Sie nähmen dieses Schaf
zurück!"
Der Mensch jedoch erklärte: Nein, er sähe dazu den Grund nicht ein.
Das Schaf, dem einen nicht willkommen, vom andern nicht zurückgenommen,
steht seitdem, herrenlos und dumm, unglücklich in der Welt herum.
Eugen Roth: Das Schaf, (Das Eugen-Roth-Buch) Carl Hanser Verlag,
München 1986
Dienstag, 24. April 2001
Mein Tür-an-Tür-Nachbar
Mein Tür-an-Tür-Nachbar, ein Chinese aus Hongkong, kehrt, wenn er mit
dem Besen kehrt, zuerst vor meiner Tür, erst dann vor der seinen.
Er kennt unsere Redensart vom Kehren vor Türen nicht.
Mir ist sie geläufig, habe mich aber inzwischen auch von ihr abgekehrt
und kehre, wenn ich mit dem Besen kehre, zuerst vor der Tür meines
Nachbarn, des Chinesen aus Hongkong, und dann erst vor meiner.
So sind bei seiner Rückkehr von der Arbeit oder bei meiner Heimkehr die
Treppen immer blank - und die alten Regeln hinweg gekehrt.
Kehraus der Abgrenzungen.
Hans Manz, Mein Tür-an-Tür Nachbar in: Silvia Bartholl /Hrsg.) Texte
dagegen. Beltz Verlag, Weinheim/Basel 1993
Mittwoch, 25. April 2001
Antwort
Das allgemeine Verlangen nach einer Antwort, einer allgemeingültigen,
das oft so vorwurfsvoll, oft so rührend ertönt, vielleicht ist es doch
nicht so ehrlich, wie der Verlanger selbst meint. Jede menschliche
Antwort, sobald sie über die persönliche Antwort hinausgeht und sich
eine allgemeine Gültigkeit anmaßt, wird anfechtbar sein, das wissen wir,
und die Befriedigung, die wir im Widerlegen fremder Antworten finden,
besteht dann darin, dass wir darüber wenigstens die Frage vergessen, die
uns belästigt - das würde heißen: Wir wollen gar keine Antwort, sondern
wir wollen die Frage vergessen. Um nicht verantwortlich zu werden.
Max Frisch: Tagebuch 1946-1949 Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1950
Donnerstag, 26. April 2001
Wie geht’s
Ich komme im Bus neben jemandem zu stehen, der mich begrüßt, mich
fragt: Wie geht es Ihnen? Da wir inmitten vieler Leute stehen, ich zudem
an der übernächsten Haltestelle aussteigen will, kann ich nur lügen:
Gut. Oder - was schon recht kühn wäre -: nicht so gut. Der Wahrheit am
nächsten käme wohl die Antwort: Ich weiß es nicht.
Kurt Marti, Wie geht’s
Freitag, 27. April 2001
Großglockner
Einen ganzen Tag lang im Sommer warteten fünfzig Urlauber eines Busses
aus Flensburg am Großglockner, um diesen zu sehen. Sie sahen indessen nur
Nebel und Wolken und graues Geröll und ein wenig Schnee. So sehr sie auch
schauten mit Augen und Gläsern, es war nichts zu sehen. Jedoch zu
zweifeln an diesem Berg, an seinem realen Vorhandensein, sah keiner sich
abends genötigt, als sie den Bus dann bestiegen. Selbst Herr Koch, der
ansonsten nur glaubt, was er sieht (mit eigenen Augen), sonst nichts,
hatte fünf Ansichten des großen Glockners in Farben gekauft und schrieb
hinten drauf von unvergesslichen Eindrücken. Und hatte selber gar nichts
gesehen als Nebel.
Lothar Zenetti: Texte der Zuversicht, Vg. J. Pfeiffer, München 1981
Samstag, 28. April 2001
Zwei kleine Schiffe
Mein Sohn Matthes schenkte mir zwei kleine Schiffe. Sie sind aus
goldenem Stanniolpapier und haben eine besondere Eigenart: Niemand sieht
ihnen an, dass sie Schiffe sind. Gekrümmte Papierblättchen. Wenn ich es
nicht von Matthes erfahren hätte, so wüsste auch ich nicht, dass es zwei
Schiffe sind. "Wozu hast du die Goldpapierfetzchen auf dem
Bücherregal?" werde ich gefragt. "Lasst sie liegen; es sind
zwei Schiffe!" Die Schiffe werden auf dem Bücherbord bleiben, bis
der älter gewordene Matthes mir etwas anderes dafür hinstellt.
Erwin Strittmatter: Schulzenhofer Kramladen Aufbau Verlag,
Berlin/Weimar 1966
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