Worte der Woche

 

 

ausgewählt von Roland Brunner, Evangelische Kirche

 

 

 

Das Wort der Woche

 

 

Dienstag, 06. März 2001

Wenn jeder eine Blume pflanzte,
jeder Mensch auf dieser Welt,
und, anstatt zu schießen, tanzte
und mit Lächeln zahlte, statt mit Geld — wenn ein jeder einen andern wärmte.
keiner mehr von seiner Stärke schwärmte,
keiner mehr den andern schlüge,
keiner sich verstrickte in der Lüge,
wenn die Alten wie die Kinder würden,
sie sich teilten in den Bürden,
wenn dies Wenn sich leben ließ,
war's noch lang kein Paradies — bloß die Menschenzeit hätt angefangen,
die in Streit und Krieg uns beinah ist vergangen.

Peter Härtling

 

 

 

weitere Worte der Woche

 

 

Sonntag, 04. März 2001

TÄGLICH ZU SINGEN

Ich danke Gott, und freue mich
Wie's Kind zur Weihnachtsgabe,
Dass ich bin, bin! Und dass ich dich,
Schön menschlich Antlitz! habe;
Dass ich die Sonne, Berg und Meer,
Und Laub und Gras kann sehen,
Und abends unterm Sternenheer
Und lieben Monde gehen;
Ich danke Gott mit Saitenspiel,
Dass ich kein König worden;
Ich wär geschmeichelt worden viel,
Und wär vielleicht verdorben.
Auch bet ich ihn von Herzen an,
Dass ich auf dieser Erde
Nicht bin ein großer reicher Mann,
Und auch wohl keiner werde.
Denn Ehr und Reichtum treibt und bläht,
Hat mancherlei Gefahren,
Und vielen hat's das Herz verdreht,
Die weiland wacker waren.
Gott gebe mir nur jeden Tag,
Soviel ich darf zum Leben.
Er gibt's dem Sperling auf dem Dach;
Wie sollt er's mir nicht geben!

Matthias Claudius

 

 

Montag, 05. März 2001

GEMEINSAMER FRÜHLING

Das haben wir nun wieder alles gemeinsam:
einen singenden Baum
mit Vögeln statt Blättern,
die Brennnesselkur, den Aufguss
von Huflattich,
das gemeinsame Motiv,
die kollektive Luft.
Uns gehören
die Tauben auf dem Dach.
Die Dose Bier schmeckt wieder im Freien.
Nun muss sich alles, alles wenden.
Die leeren Seiten füllen sich mit Bedeutung.
Das Schreiben über den Frühling macht allen Spaß.

Karl Krolow

 

 

Mittwoch, 07. März 2001

Wünsche III

Ich möchte ein Magnolienbaum sein
Jahrhunderte alt
mit herrlichen Blüten
Eine Nachtigall möchte ich sein
deren Stimme jeden berückt
noch lieber ein Berg
von der Sonne umarmt
rein gewaschen vom Regen
endlose Gipfelschau
ein Jahrtausendeleben
Ach ich sprach wohl im Traum
kein Magnolienbaum keine Nachtigall
auch kein Berg möchte ich sein
Ich will weiterhin ich sein
ein paar Menschen lieben
Weltspuren folgen
und wenn der Sprachgeist erlaubt
mit einigen Worten meinen Tod überleben

 

 

Donnerstag, 08. März 2001

Manchmal

Manchmal spricht ein Baum durch das Fenster mir Mut zu
Manchmal leuchtet ein Buch
als Stern auf meinem Himmel
Manchmal ein Mensch
den ich nicht kenne
der meine Worte erkennt

Rose Ausländer

 

 

Freitag, 09. März 2001

Frühlingsglaube

Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muss sich alles, alles wenden.
Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Herz, vergiss der Qual!
Nun muss sich alles, alles wenden.

Ludwig Uhland

 

 

Samstag, 10. März 2001

MÄRZ

Manche hoffen noch,
das Jahr werde hier enden.
Aber die Abflüsse des Schnees
sind ohne Mitleid.
Schwarz von Schlaf
das Fell des Maulwurfs.
Ihm, der dir zugetan ist,
vergehen die Wochen,
während das Hagelkorn
auf deinem Handrücken schmilzt.
In eine Schiefertafel eingegraben
kehrt die Kindheit zurück:
Das Gras richtet sich auf und horcht.

Günter Eich

 

hier geht's zum "WORTE" Archiv