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GEDANKEN
vom 03.-09.06.2001
ausgewählt von Karin
Lauterbach
Katholische Kirche
Sonntag, 03. Juni 2001
Pfingsten
Heute ist Pfingsten. Und wie jedes Jahr feiert die Kirche an
Pfingsten sozusagen ihr Gründungsfest. Das Fest des heiligen Geistes.
Vor rund 2000 Jahren saßen die Jünger von Jesus alle in Jerusalem rum
und warteten, dass irgendetwas passierte. Es soll gerade fünfzig Tage
her gewesen sein, dass das Gericht über ihr Vorbild und ihren Freund
Jesus die Todesstrafe verhängt hatte und er sterben musste. Die Jünger
standen noch immer unter Schock. Das konnte doch nicht sein, dass all
das, woran sie geglaubt und das sie für gut und richtig gehalten hatten
einfach so weg war. Tot. Aus. Vorbei. Die Obrigkeit hatte gesiegt und
sie mussten sich versteckten und den Mund halten, um nicht ebenfalls vor
Gericht zu kommen. An diesem Pfingsten vor knapp 2000 Jahren saßen sie
also zusammen und fragten sich verzweifelt, wie es weitergehen sollte.
Und dann passierte etwas, was die Kirche bis heute feiert. Etwas in
ihnen brach auf. Löste sich. Alles Ängstliche und Geduckte fiel von
ihnen ab. Sie versteckten sich nicht mehr, sondern gingen sogar aus
ihrem Haus hinaus. Und sie erzählten und sprachen begeistert von dem,
was sie bewegte. Von der Idee, an die sie glaubten und von der Kraft,
die sie erlebt hatten.
Pfingsten ist der Tag des Heiligen Geistes. Der Tag der Hoffnung und der
Tag des Neubeginns. Pfingsten ist überall dort, wo Anfänge gemacht
werden. Wo Menschen sich begeistern können und das Leben lieben.
Pfingsten ist immer und überall dort, wo der Geist verhärtete Krusten
aufbricht und das Herz der Menschen erreicht. Dieser Geist ist heilig
und er lässt sich nicht binden. Er ist heute morgen in Ihrer Küche bei
einem guten Gespräch genauso, wie bei jemandem der allein ist und sich
traut, einen anderen Menschen zu sich einzuladen. Der heilige Geist ist
ein wundervoller Name für Gott und heute feiern wir sein Fest. Ein Fest
der Freude.
Montag, 04. Juni 2001
Das siebte Kreuz
Wenn mich jemand fragen würde, wie ich die Seele eines Menschen
beschreiben würde, so würde ich mit einem Satz aus dem Buch: "Das
siebte Kreuz" antworten. Die Autorin Anna Seghers schreibt dort über
einen Ausbruchsversuch von sieben Häftlingen aus einem
Konzentrationslager. Sechs der Männer werden gefasst und zu Tode
gefoltert. Der siebte aber entkommt den SA-Schergen für immer. Seine
Flucht löst im Lager eine Genugtuung unter den anderen Häftlingen aus.
Ein stilles Wissen darüber, dass die Nazi-Diktatur nicht allmächtig,
nicht unüberwindbar ist. Durch diese Flucht regt sich in den erstarrten
Menschen wieder ein kleiner Funken von Leben und Hoffnung. Und am Ende
dieses Buches heißt es dann: Wir fühlten alle, wie tief und
furchtbar die äußeren Mächte in den Menschen hineingreifen können,
bis in sein Innerstes, aber wir fühlten auch, dass es im Innersten
etwas gab, was unangreifbar war und unverletzbar.
Mit diesem Satz also, würde ich die Frage nach der Seele
beantworten. Denn ich glaube fest, dass jeder Mensch dieses Etwas
in sich hat. Tief im Innersten. Etwas, was unangreifbar und unverletzbar
ist.
Heute ist Pfingsten. Das Fest des heiligen Geistes. Für die Christen
ein Fest des Lebens, der Freude und der Hoffnung. Und so wie der Heilige
Geist damals in Jerusalem zu den verängstigten Jüngern von Jesus kam,
so begegnet er uns überall dort, wo Menschen hoffen und lieben. Der
heilige Geist ist unendlich. Aber von dieser Unendlichkeit tragen wir
alle einen Teil tief in unserm Innersten. Dieser Teil ist eines der
Geheimnisse unseres Lebens. Er ist Teil unsere Seele. Ein kleiner Funke
von diesem heiligen Geist brennt in jedem von uns. Am deutlichsten dort,
wo Menschen ihr Innerstes am wenigsten verstellen.
Dienstag, 05. Juni 2001
Elternsprechtag
Ich kann mich noch genau daran erinnern: Früher bei den
Elternsprechtagen in der Schule gab es immer zwei Sorten von Eltern. Die
einen, die zu ihren Kindern und die anderen, die zu den Lehrern gehalten
haben. Ich hatte echt Glück: Meine Mutter stand immer auf meiner Seite.
Bei den Lehrern, bei denen ich Schwierigkeiten hatte, hat sie mich in
Schutz genommen. Und in den Fächern, wo es ziemlich übel bei mir
aussah, hat sie gemeinsam mit mir nach einer Lösung gesucht. Ich weiß
noch genau, wie ich einmal mit einer fünf in Englisch nach Hause kam
und sie echt souverän reagiert hat. Ach komm, meinte sie, davon
geht die Welt auch nicht unter. Bei der nächsten Arbeit tust Du vorher
ein bisschen mehr und damit Du auf andere Gedanken kommst, gehen wir
zwei heute Abend ins Kino. Das hab ich ihr nie vergessen.
Bei meiner Freundin dagegen, war es genau umgekehrt. Da hatten immer die
Lehrer recht. Nach den Elternsprechtagen kam sie dann immer völlig
fertig zu mir, weil ihre Mutter mal wieder nervte. Sie solle sich so und
so in der Klasse verhalten, mehr lernen, nicht so albern sein und so
weiter und so weiter. Dabei haben Eltern doch oft gar keine Ahnung, was
Kinder in der Schule heute alles leisten müssen. Ich meine jetzt nicht
nur die Zensuren. Da gibt’s noch viel mehr: Kinder müssen die
richtigen Klamotten tragen, die richtige Musik hören, die richtigen
Freunde und die richtige Figur haben und sie müssen vor allem eins:
Erwachsen werden. Und bei all dem brauchen sie doch jemanden, bei dem
sie mal nichts leisten müssen, bei dem sie versagen dürfen, Pickel im
Gesicht haben und Unsicherheit zeigen dürfen. Jemanden, der auf ihrer
Seite steht.
Mittwoch, 06. Juni 2001
Autorität
Ich selbst habe keine Kinder und
deshalb will ich mich zu Fragen der Kindererziehung auch besser nicht
allzu weit aus dem Fenster lehnen. Ich habe nur einen Vorsatz, falls ich
einmal Kinder haben sollte: Ich will nicht die beste Freundin meiner
Tochter oder meines Sohnes sein. Ich kenne Familien, in denen das so ist
und in denen die Eltern auch stolz darauf sind. Meine Tochter und ich
sind die besten Freundinnen, sagte mir zum Beispiel mal eine junge
Mutter. Sie kann mir immer alles erzählen und sie weiß, dass ich
nicht so bin wie ihre Klassenkameradinnen, die heute mal die eine und
morgen mal die andere vorziehen. Bei mir sind ihre Geheimnisse sicher.
Hört sich zwar toll an, ist aber nach meinen Beobachtungen, die ich in
einige Familien gemacht habe alles andere als toll. Denn Freundschaft
setzt immer ein Verhältnis von gleich zu gleich voraus. Ein Verhältnis
auf Augenhöhe. Das geht aber zwischen Eltern und Kindern meistens
daneben. Ich kenne Mädchen, die schwer krank davon geworden sind, weil
ihre Mütter ihnen ihre eigenen Probleme und Sorgen aufgelastet haben.
Dabei haben diese Mütter nie bemerkt, dass ihr Kind damit vollkommen überfordert
war. Ein Bekannter von mir hat mal gesagt: Der größte Fehler, den
man als Vater machen kann, ist zu versuchen, der beste Kumpel seines
Sohnes zu sein. Ich kann mir denken, dass einige Väter jetzt
vielleicht protestieren, weil sie versuchen, sich Zeit für ihre Kinder
zu nehmen und an ihrem Leben teilnehmen wollen. Dagegen ist natürlich
auch überhaupt nichts zu sagen. Nur gegen die Rolle.
Autorität ist heute ein abgegriffenes und oft missbrauchtes Wort.
Autorität klingt so nach Rohrstock und muffiger Doppelmoral. Ich denke
aber, dass es eine Form von natürlicher Autorität gegenüber den
Kindern gibt. Eine Autorität, die die richtige Balance zwischen Distanz
und Nähe findet. Das heißt aber auch, sich selbst genug sein zu können
und nicht auf die Kinder angewiesen zu sein. Nicht ständig der beste
Freund in ihrem Leben sein zu wollen. Ich möchte meine Kinder mal
unterstützen wo es nur geht – logisch – aber ich möchte sie auch
in Ruhe lassen können.
Donnerstag, 07. Juni 2001
Bulimie
Bulimie ist eine bekannte Essstörung, bei der Unmengen gegessen und
gleich darauf wieder erbrochen werden. Hier mal ein Beispiel dafür, wie
ein sogenannter Fressanfall aussehen kann: Also: Es geht los mit einem
Pfund Leberkäse, danach Pommes mit Ketchup, dann ein komplettes Paket
Toastbrot mit einem halben Pfund Margarine und einem ganzen Glas
Nutella. Darauf noch ein bisschen Sahne und als Nachtisch einen
Familienbecher Eis, verschiedene Schokoriegel und alle möglichen Reste,
die gerade so im Kühlschrank rumstehen. Dazu literweise Saft oder
Wasser, bis wirklich nichts mehr geht und man sich sofort übergeben
muss.
Das ist keine Übertreibung. Ich habe dieses Beispiel in einem Fachbuch
gelesen. Karla heißt das Mädchen, das hier von sich erzählt. Und am
Anfang ist die Bulimie für sie die Lösung: "Fressen und
trotzdem Abnehmen, das bringt keiner fertig!" Berichtet sie. "Die
in der Schule sind plötzlich stockneidisch auf meine gute Figur!"
Und genau das ist der Teufelskreis: Vier Prozent aller jungen Frauen
zwischen 12 und 25 Jahren haben diese Krankheit und sie haben Erfolg
damit. Aber hinter dem Kampf um eine Bikinifigur steckt mehr. Dahinter
steckt oft das ganze Leben einer jungen Frau. Ihre Ängste, ihre
Sehnsucht nach Geborgenheit und ihr Hass. Bis heute gibt es so etwas wie
"weibliche Tugenden" oder soll ich besser sagen
"Untugenden". Danach gehört es sich zum Beispiel nicht, dass
kleine Mädchen genauso aggressiv sind wie Jungs. Mädchen toben sich
nicht aus. Aber wohin dann mit der Wut? Oft richtet sie sich gegen den
eigenen Körper. Gefördert durch unsere modernes Menschenbild, das
Erfolg, Dynamik und Selbstbewusstsein mit einem jungen, schlanken,
perfekten Körper verbindet. Man muss schön sein, um geliebt zu werden.
Das ist die Botschaft der Gegenwart.
Unmengen in sich hineinstopfen und wieder erbrechen ist krank. Aber im
Grunde ist es doch nur logisch, wenn allein der Körper das Instrument für
ein gelingendes Leben sein soll.
Freitag, 08. Juni 2001
Pubertät
Ich würde heute gerne alles mögliche sein. Aber eines mit
Sicherheit auf gar keinen Fall: Zwölf Jahre und mitten in der Pubertät.
Zugegeben: Die meisten von Ihnen sind sicherlich längst raus aus diesem
schwierigen Alter zwischen Akne und Stimmbruch, aber trotzdem ist genau
diese Zeit heute mein Thema. Weil ich finde, dass pubertierende
Jugendliche eine riesige Gruppe von suchenden Menschen in unserer
Gesellschaft ausmachen. Nur merkt man ihnen das auf den ersten Blick
eben gar nicht an. Ach, meinte neulich eine junge Mutter zu mir die
Kinder von heute sind ja total selbstbewusst. Meine Tochter z.B., die
fragt alles mögliche. Die sind nicht mehr so schüchtern wie wir
damals.
Ja, so sieht’s aus auf den ersten Blick. Selbstsichere Kids, die
genau wissen, wo’s langgeht. Stimmt aber nicht. Das ist nur das Bild,
das sie alle gerne erfüllen würden. Sie alle wollen gerne kleine
erfolgreiche gutaussehende Männer oder Frauen sein. Mit Handy und
Terminkalender die Welt im Griff haben. Die Mädels stylen sich modellmäßig
auf und die Jungs sind so cool, dass man sich kaum noch normal mit ihnen
unterhalten kann.
Das Problem ist, dass die Erwachsenen das Spiel voll mitspielen und
meist nicht die Schwierigkeiten hinter der Fassade sehen. Denn dahinter
sind die Girlies von heute noch immer auch die kleinen verunsicherten Mädchen.
Heute kommen Mädchen durchschnittlich mit zehn bis zwölf Jahren in die
Pubertät. Rechtlich und sozial gelten sie noch als Kinder, aber der Körper
macht mit ihnen was er will. Sie verstehen ihn nicht mehr und er wird
ihnen oft völlig fremd. Aber sie lernen, dass sie mit ihm offenbar
Botschaften aussenden können. Dass ihr Körper permanent von außen
bewertet wird und dass er deshalb toll aussehen muss.
Doch viele der Mädchen und Jungen wollen manchmal auch noch ein
richtiges Kind sein. Aber sie haben Angst davor, sich lächerlich zu
machen. Ganz schön schwere Zeit eigentlich diese Jahre zwischen
Kindheit und Erwachsen sein. Wir können ihnen helfen, wenn wir Geduld
mit ihnen haben und sie auch mal herausfordern. Aber wir dürfen sie
auch nicht überfordern. Erwachsen sind sie noch lange genug.
Samstag, 09. Juni 2001
Papst
Ich kann mir denken, dass Sie jetzt am Samstagvormittag
wahrscheinlich nicht unbedingt brennend an Gedanken über den Papst
interessiert sind. Und doch tue ich heute morgen etwas, was ich selbst
nie von mir gedacht hätte: Ich nehme den Papst in Schutz, denn ich
respektiere ihn wegen etwas, das viele Staatsmänner nicht fertig
bringen: Für seine Fähigkeit, sich zu entschuldigen. Der Papst macht
sich auf und bittet die Völker, die Opfer der Kirche geworden sind um
Verzeihung. So hat er sich letzten Monat beispielsweise in Griechenland
für das Verhalten der christlichen Kreuzritter entschuldigt und in
Damaskus ebenfalls für die Folgen der Kreuzzüge um Vergebung gebeten.
Alt und krank wie er ist hat er fast hundert Auslandsreisen hinter sich
und seine Themen sind immer Versöhnung und Frieden.
Aber manche Kardinäle und manche italienische Zeitungen sind sauer. Sie
finden diese ständigen Entschuldigungen des Papstes übertrieben. Sie
halten ihn für naiv. Es regt sie auf, wenn er mit Vertrauen auf
Misstrauen oder mit Großherzigkeit auf Verbohrtheit reagiert.
Er mag vielleicht vieles, was hinter den Kulissen geschieht nicht mehr
steuern können. Aber mir kommt es manchmal so vor, als würde er seine
ganze Kraft, die ihm noch bleibt zusammenraffen und auf ein einziges
Ziel richten: Dem Wunsch nach Verständigung der Religionen und damit
dem Wunsch nach Frieden. Mit all seiner Lebenserfahrung und seinem
politischem Wissen, setzt er sich für diese Verständigung ein. Er
betete an der Klagemauer in Jerusalem genauso wie in einer Moschee in
Syrien. Ich glaube nicht, dass der Papst naiv ist und auch nicht, dass
ihn Altersstarrsinn treibt. Ich glaube viel eher, dass er eine Vision
hat. Und für diese Vision schleppt er sich um die Welt.
Und genau deshalb habe ich Respekt vor ihm.
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