GEDANKEN der WOCHE 

 

 

ausgewählt von Roland Spur, Evangelische Kirche

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 08. 7. 2001

Jesus zaubert

"Absolut unglaublich! Das reinste Wunder!" Alle sind sich einig. War wieder so ein super spontaner Sommer-Event. Ungeplant. Den ganzen Tag waren die Leute geströmt, um an seinen Lippen zu hängen: Jesus, der Gottesmann mit magischer Ausstrahlung. Seit Stunden haben sie ihm zugehört, wie er übers Himmelreich predigt. Mittlerweile knurrt seinem Team der Magen. Wenn’s mal wieder länger dauert... "Schluss mit Party!" nörgeln sie. "Reich Gottes ist kein Schlaraffenland. Schick sie heim, Meister!"
"Stopp Freude! Sind wir denn nicht für die Fans zuständig?"
Der Reich-Gottes-Prediger beauftragt sein überraschtes Zwölfer-Team: »Los! Gebt doch ihr ihnen zu essen!« O-Ton! Da sehen seine Jünger alt aus. "Herr, Du machst Witze! Wie denn, fünf Fladenbrote und zwei Sardellen für 5000? Reicht doch nicht mal symbolisch! Außerdem: no cash fürs Catering, sorry Mylord."
Doch trotz ihrer Einwände bleibt der Meister cool. Unbeirrt setzt er noch eins drauf: "Sorgt dafür, dass sich alle hinsetzen, und zwar in überschaubaren Gruppen." Und lacht: "Sonst klappt der Trick nicht!" Jesus nimmt das Essen, hält es hoch, gut sichtbar für alle. Er sagt was, keinen Zauberspruch, sondern das jüdische Tischgebet. Und teilt die Fladenbrote und Fische aus. Einfach so.
Alle sind satt geworden. Weil ja jeder ‘was zu essen dabei hatte, und das nun nicht allein aufisst, sondern es teilt und auch ringsum anbietet, oder es einfach in die Mitte legt. Am Schluss gab es sogar Berge von Resten!
Höflichkeit steckt an. Aber dass auf einmal alle Fans solchen Spaß an Tischsitten haben, das ist doch ein Phänomen! Vorbei die Angst, im Leben zu kurz zu kommen! Statt kleinkariert – großzügig! Dass Jesus das geschafft hat!
Wie er die Menschen geändert hat – für mich ist das das wichtigere Wunder als einmal ‘ne Masse Brot materialisiert zu haben.

bibl. Textbezug: Lukas 9,10 - 17

 

 

Montag, 09. Juli 2001

Reisen – Reisesegen

Urlaub! Die schönste Zeit im Jahr. Michael Brown ist 25 und Kate Rogers 23. Die beiden Briten machen ihre erste gemeinsame Reise ins Ausland. Nach Spanien soll es gehen. Doch von wegen: alles Roger!
Das Flugticket hatten sie per Internet gebucht. Nach der Landung wurden sie unfreundlich aus einem Bus geworfen. Scheiß Empfang! Stimmung mies. Sie verstehen die Welt nicht mehr. Es dauert Stunden, bis sie in die Stadt gelangt sind, völlig verschwitzt. Finden ihr Hotel nicht, nehmen genervt ein anderes.
Sie sind nämlich in Italien statt in Spanien gelandet, bemerken den Irrtum aber erst nach geraumer Zeit. Passiert ist das, weil sie bei ihrer Buchung »Genova«, also Genua in Italien, mit »Gerona« in Spanien verwechselten. Als sie Gebäude mit italienischen Fahnen sahen, seien sie zwar stutzig geworden – hätten sich aber gedacht, es handele sich um Eislokale. Irgendwann trafen sie dann ein anderes britisches Paar und trauten sich zu fragen: "Excuse me, we know it sounds funny, but can you explain us in which of these fucking continental countries we are now?" – In welchem Land befinden wir uns eigentlich?
Die hilfreichen Landsleute haben dann dafür gesorgt, dass die Italien-Reisenden wider Willen zum Flughafen zurückgebracht wurden. »Dieser Rauswurf aus dem Bus am Flughafen. Jetzt weiß ich, dass das deswegen geschah, weil wir die Tickets partout mit Peseten bezahlen wollten«, sagte Brown.
Reisen bildet. Und Reisen bedeutet auch Risiko. Manche spüren daher gerade jetzt ein Bedürfnis nach einem tröstlichen Wort, nach Geleit, nach einem Reisesegen. In der Bibel seht ein ganz alter, es ist Psalm 121. Sein Schluss lautet:
»Du sollst wissen: Der HERR behütet dich vor allem Übel, er behütet deine Seele. Der HERR behütet deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!«

bibl. Textbezug: Psalm 121,7 + 8

 

 

Dienstag, 10. Juli 2001

Vorbildlicher Dieb

John ist fix und fertig. Er ist auf einer Verkaufsmesse in Paris, und man hat ihm seine Aktentasche geklaut. Alles weg! Wichtige Dokumente, Geld, Handy. Nichts mehr mit to keep cool! Dem britischen Geschäftsmann flattern die Nerven. Was tun? John ruft seine Freundin Karen in England an.
Die holt sofort ihr altes Schulwörterbuch hervor und schickt dem Täter eine Textbotschaft aufs Handy, in Französisch: «Lieber Dieb, Sie haben meine Aktentasche gestohlen. Das Bargeld können Sie behalten. Aber die Tasche muss ich zurückhaben, weil mein Pass und meine Flugtickets und wichtigen Unterlagen drin sind. Bitte hinterlassen Sie sie doch in meinem Hotel.»
Zehn Minuten später klingelt Karens Handy: der Dieb ist am anderen Ende! Er entschuldigt sich vielmals und verspricht, die Tasche in einen Mülleimer vor einer der Messehallen zu stecken. Und in der Tat, dort findet John sie kurz darauf wieder.
Dass der unbekannte Dieb auf die SMS reagiert hat, und dass er s o reagiert hat – ist das nicht ein Zeichen von Reue? Ich bin kein Richter, kein Jurist. Ich muss das Ganze nicht strafrechtlich kommentieren. Aber mich hat diese Geschichte an einen Vers aus der Bibel erinnert. Im Lukasevangelium sagt Jesus einmal zu seinen Anhängern:
"Seid wachsam gegen euch selbst! Wenn dein Bruder – und das gilt entsprechend für die Schwester – ein Unrecht begangen hat, dann stell ihn zur Rede, und wenn er es bereut, dann verzeih ihm!" [Lukas-Evangelium Kapitel 17, Vers 3]
Dieses Zur-Rede-Stellen, von dem Jesus da redet, also jemanden mit den Konsequenzen seiner Tat konfrontieren, das ist hier mit einer freundlichen SMS erfolgt. Vielleicht hat auch John in dem Moment, als er seine geklaute Tasche mit den Unterlagen wieder hatte, in der Erleichterung so einen Impuls zur Verzeihung gespürt.

bibl. Textbezug: Lukas 17, 3

 

 

Mittwoch, 11. Juli 2001

Schwein gehabt – oder: Gnade

Die Rollen im Knast sind klar verteilt. Wärter und Gefangene. Die Guten und die Bösen. Normalerweise. Umso mehr hat mich eine Nachricht aus dem "Independet" erstaunt.
Der Wärter und Leiter des Bauernhofes in der Prescoed-Haftanstalt im Süden von Wales wäre heute tot. Denn ohne Erste Hilfe von zwei Gefangenen wäre er verblutet. Ganz unerwartet war er angegriffen worden. Und zwar von einem Wildschwein.
Er hatte den Keiler isoliert, von seiner Sau getrennt, um ihm in aller Ruhe die messerscharfen Hauer zu stutzen. Doch das Tier drehte plötzlich durch, in dem Moment, als es einen anderen Keiler im Nachbarstall erblickte, und in ihm so etwas wie "seinen wahren Rivalen". Es nahm den störenden Wärter auf die Hauer, schleuderte ihn durch die Luft, und riss ihm eine klaffende Wunde ins Bein. Mit 98 Stichen musste der Mann später genäht werden. Schwein gehabt – in jeder Hinsicht.
Die beiden Häftlinge sind aus ihrer Haft entlassen, auf Antrag des geretteten Wärters. Sie saßen wegen Diebstahls und Körperverletzung. Den beiden Lebensrettern des Wachmanns ist ein königlicher Gnadenerlass zugute gekommen. Der war zur Zeit der Normannen auf der britischen Insel eingeführt worden. Dieser 900 Jahre alte königliche Gnadenerlass sieht vor, Häftlinge für besonders mutige Taten freizulassen. Ist bis heute rechtskräftig.
Noch älter ist der Rat, der in der Bibel seht: »Wenn ein Mitmensch Hilfe braucht und du ihm helfen kannst, dann weigere dich nicht, es zu tun.« [Sprüche 3,27]
Ich denke, danach werden die beiden Gefangenen gehandelt haben, als sie sich zwischen das tobende Wildschwein und ihren Wärter stürzten. Respekt. Und für mich ist das eine moderne Geschichte um den alten Begriff Gnade.

bibl. Textbezug: Sprüche 3,27

 

 

Donnerstag, 12. Juli 2001

"Original Sin"

Luis Vargas ist ein wohlhabender kubanische Kaffeeplantagenbesitzer. Er hat alles, was er sich wünscht - nur eine Frau fehlt ihm noch. Per Annonce hat er Kontakt mit einer Amerikanerin namens Julia Russell aufgenommen. Er wartet am Hafen auf ihr Schiff.
Doch als Julia dann vor ihm steht, ist Luis schockiert: Sie sieht ihrem Foto ganz und gar nicht ähnlich – sondern ist eine atemberaubende Schönheit. Sie wolle nicht, dass er sie nur wegen ihres Aussehens heirate, erklärt sie. Das träfe sich gut, entgegnet er, denn auch er habe ihr etwas verschwiegen, seinen Reichtum, weil er nicht wollte, dass sie nur seines Geldes wegen die Überfahrt antrete.
So beginnt "Original Sin", der heute in die Kinos kommt. Ein neuer Film mit Angela Jolie. Nach Lara Croft spielt sie diese Julia, eine Femme fatale, der Luis schon beim ersten Anblick mit Haut und Haaren verfällt. Sein Leben gerät immer mehr aus den Fugen. Während Luis leidenschaftlich und verzweifelt versucht, das Herz von Julia zu erobern, wird er selbst immer weiter in einen Strudel von List, Betrug und Mord gezogen. Neben Angelina Jolie spielt Antonio Banderas in der männlichen Hauptrolle dieses erotischen Thrillers.
Der Film-Titel hat mich neugierig gemacht. Denn "Original Sin" entspricht dem kirchenlateinischen "peccatum originale". Und das mein so viel wie Ursünde oder Ursprungssünde, in dem Sinn: Hier spielt der Mensch mit, und hier wird ihm zugleich mitgespielt.
"Original Sin" – das ist Schicksal und Schuld zugleich. Scheinbar unauflöslich, unentrinnbar. Bis Blut fließt. Bis jemand zum Opfer geworden ist. Schließlich sind es beide. Und beide, der Mann und die Frau, sind dann aus dem goldenen Garten Cubas, aus ihrem Paradies von Luxus und von Liebe und Leidenschaft vertrieben. Oder besser gesagt, der Film erzählt, wie sich beide aus ihrem Paradies selber vertrieben haben.

bibl. Textbezug: Genesis 3

 

 

Freitag, 13. Juli 2001

Freitag der Dreizehnte

Freitag der Dreizehnte. Ein Unglückstag? Die einen kokettieren damit. Andere fürchten ihn. Warum eigentlich? Aus Einbildung? Oder weil die Medien so gern mit dem Aberglauben flirten? Aufgefordert rufen dann Leute sogar beim Sender an: "Mein Auto ist heute nicht angesprungen. Ich musste auf den Bus rennen und hab mir den Fuß verknackst, nur die Bänder, naja, und so ist mein Termin geplatzt, und jetzt ist der Job weg..." "Kein Wunder!" heißt es dann. "Klarer Fall. Freitag der Dreizehnte."
Ich sage: Wer ans Pech glaubt, der hat Pech. Und frage mich: Wo kommt das her, dass in unserer modernen, digitalisierten Welt ein angeblicher Unglückstag regelmäßig Konjunktur hat?
Zwei Gründe:
1.) Im Altertum waren es die Babylonier, die sich intensiv der Beobachtung des Himmels hingegeben haben. Sonne, Mond und Sterne spielten in ihrer Kultur eine riesige Rolle. Tage, Zeiten und Entscheidungen wurden danach bestimmt. Im alten Babylon war der Mondkult Staatskult. Der König galt als "Mondkönig". Die Babylonier hatten erkannt, dass ein Jahr mit 365 Tagen nicht zwölf, sondern 13 Mondumläufe dauert. Der 13. Mondmonat galt als Glücksmonat! Dann sind die Babylonier untergegangen. Aus ihrer Glückszahl wurde eine Unglückszahl. In manchen Hotels gibt es deshalb kein Zimmer 13!
Und 2.) Bei unseren Vorfahren, den Germanen, war der Freitag der Göttin Freya gewidmet, der Gemahlin Wotans. Der Freitag ein Tag der Liebe, der Hochzeit, der Fruchtbarkeit. Also ein Tag des Glücks.
Auch die germanische Kultur ist untergegangen. Der Freitag bekam den Charakter von Unglück. Wir sprechen vom "schwarzen Freitag". Oder denken wir nur an den Karfreitag.
Und an einer Stelle kommen beide zusammen, der Wochentag und diese Zahl, wie heute: Freitag der Dreizehnte. Ist also abgestandener heidnischer Religionsmix, wenn Leute um angebliches Pech heute Aufhebens machen. Ach! Lohnt sich doch nicht. Machen Sie sich doch einfach einen guten Tag heute!

 

 

Samstag, 14. Juli 2001

Französische Revolution

Heute feiern unsere Nachbarn links des Rheines, die Franzosen. Quartorze juillet. Am 14. Juli wurde 1789 in Paris die Bastille gestürmt. Sie galt als verhasster Hochsicherheitsknast des Regimes. Der 14. Juli – Start und Symbol der Französischen Revolution. Der großen Umwälzung, mit Auswirkungen auf ganz Europa.
»Écrasez l'infâme!« hatte Voltaire, einer ihrer Köpfe, über die Kirche geschrieben. Écraser heißt zerdrücken, zermalmen, so wie man eine Zigarette auslöscht.
"Macht die Schamlose fertig!" Kirchliche Einrichtungen wurden aufgelöst, Kirchenbesitz enteignet, Kirchen zerstört.
Warum so viel Kirchenfeindlichkeit? Woher dieser Hass? Ich glaube, das kann man dann verstehen, wenn man an sich heran kommen lässt, wie Menschen die damalige Kirche erlebt haben mussten. Eben als Schamlos. Sonst hätte so ein Aufruf aus zwei Worten auch nicht gezündet.
Die Kirche ließ es sich damals sehr gut gehen – o ja: "leben wie Gott in Frankreich!" Gelder strich sie im großen Stil ein, Steuern von weit ihren verstreuten Ländereien.
Vor der Revolution war die Kirche eine der größten Grundbesitzerinnen in Frankreich. Bei uns in Deutschland war es seinerzeit ähnlich.
»Écrasez l'infâme!« schrieb Voltaire. Die große Zerstörungswut muss der tiefen Enttäuschung entsprochen haben. Enttäuscht von einer Kirche, die eben nicht an der Seite der Hungrigen, der "Miserables" steht. Und die sich nicht einmal schämte, selber auf Kosten der Armen zu leben, anstatt nun einmal Kirche für die Armen zu sein. Schamlose Kirche – »Écrasez l'infâme!« war nur die Quittung.
Dabei sind »Libertè, Egalitè, Fraternitè!« im Grunde urbiblische Befreiungsparolen! Von Moses über Amos, Jesus zu Paulus. Nur haben die Menschen viel zu wenig daran sich orientiert. Den Befreiungswillen Gottes verraten. Leider Gottes.
Dieser 14. Juli ist für mich als Gedenktag die Chance, dass wir Christen uns an unseren Ansprüchen messen und korrigieren lassen.

bibl. Textbezug: Matthäus 25,31 – 46

 

 

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