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GEDANKEN
vom 15.-21. April 2001
ausgewählt von Dr.
Peter Haigis, Evangelische Kirche
Ostersonntag, 15. April 2001
Die Frauen am Grab
Jesus soll auferstanden sein? Sein Grab leer? Schon die ersten
Jünger Jesu - seine engsten Begleiter - wollten das nicht glauben.
Als einige Frauen aus dem Jüngerkreis Jesu am übernächsten Morgen
nach der Kreuzigung vom Friedhof kamen und erzählten, was sie
gesehen hatten, erhielten sie eine barsche Abfuhr: "Leeres
Geschwätz, typisch Frau!", hieß es nur.
Die Frauen hätten kontern können. Schließlich gaben die Männer
in Jesu Freundesclique kein überzeugendes Bild ab. Bereits bei der
Gefangennahme Jesu haben sie die Beine in die Hand genommen und
waren Hals über Kopf verschwunden. Die Angst hatte sie gepackt,
nachdem ihr Meister ans Messer geliefert worden war. Also büchsten
sie aus. Verkrochen sich dorthin, woher sie gekommen waren. Dorthin
wo sie Jesus einmal aufgelesen hatte.
Nur die Frauen im Gefolge Jesu zeigten die erforderliche Courage:
Scheinbar furchtlos gingen sie den steinigen Weg mit - bis zuletzt.
Bis zum Kreuz folgten sie dem, der ihr Leben so sehr beeindruckt und
verändert hat. Dem, der ihnen Würde und Respekt gab, und sie so
daran erinnerte, dass ihr Leben wertvoll ist.
Klar, dass man einen solchen Menschen nicht aufgibt, ihn noch bis in
den Tod hinein begleiten möchte. Auch wenn es gefährlich wird!
Klar, dass man ihm die letzte Ehre erweisen will. Koste es das
eigene Leben!
Also wollten die Frauen in den frühen Morgenstunden jenes Tages den
Leichnam Jesu salben und ihm so eine angemessene Bestattung zukommen
lassen. Doch als sie an seinem Grab ankamen, war er weg. Zunächst
erschraken sie. Aber sie überließen das letzte Wort nicht der
Angst. Auch nicht dem Tod. Sie spürten als erste, dass von diesem
Jesus viel Lebensmut ausging. Und sie waren auch die ersten, denen
Jesus die Augen dafür öffnete, dass mit dem Tod nicht alles aus
ist.
Ostermontag, 16. April 2001
Mut zur Auferstehung
Bequem wäre es, wenn mit dem Tod einfach alles aus wäre. Dann
gäbe es einige, die auf der Sonnenseite des Lebens geboren sind,
und einige, die im Schatten stehen.
Bequem wäre es, wenn Ungerechtigkeiten erst nach dem Tod beseitigt
würden. Irgendwann in der Ewigkeit. Jahrhunderte lang wurden
Menschen auf diese Weise aufs Jenseits vertröstet.
Der Schweizer Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti will mit solchen
Bequemlichkeiten allerdings nichts zu tun haben: "Das könnte
den Herren dieser Welt so passen, wenn erst nach dem Tod
Gerechtigkeit käme", - dichtet er - wenn "erst dann die
Herrschaft der Herren, erst dann die Knechtschaft der Knechte
vergessen wäre für immer."
Das hört sich wie ein Klassenkampflied von Brecht oder Biermann an.
Doch Marti macht nur ernst mit dem Glauben daran, dass Jesus von den
Toten auferstanden ist. Der Glaube an die Auferstehung Jesu hat mit
dem Diesseits, nicht mit dem Jenseits, zu tun.
Der Befreier vom Tod "ist schon auferstanden und ruft uns jetzt
alle zur Auferstehung auf Erden, zum Aufstand gegen die Herren, die
mit dem Tod uns regieren" - O-Ton Marti.
Für manche war die Auferstehung Jesu auch schon vor zweitausend
Jahren eine ziemlich unbequeme Sache. Da wurden geltende Regeln auf
den Angeln gehoben. Jesus wurde gekreuzigt, um ein Ärgernis aus dem
Weg zu räumen und um die Jesus-Bewegung zu zerschlagen. Dass seine
Anhänger später auftraten und selbstbewusst verkündeten, er lebe,
war nicht beabsichtigt. Es war auch nicht beabsichtigt, dass sie
sich zusammenschließen und in Gemeinschaften leben, in denen Geld,
Macht und Ansehen nichts zählen. Und es war nicht beabsichtigt,
dass sie Courage zum Leben erhalten - stark genug, um den damaligen
Herren ins Gesicht hinein widerstehen zu können.
Dienstag, 17. April 2001
"Jesus von Montreal, Episode II"
Die Geschichte des Jesus von Nazareth ist ja ganz schön: Ein
beeindruckender Mensch, der sich nicht hat unterkriegen lassen. Er
hat gesagt und getan, was ihm wichtig war. Wovon er überzeugt war.
Er hat soziale Schranken durchbrochen, er hat den Kontakt zu Leuten
gesucht, von denen niemand etwas wissen wollte (zumindest in der
Öffentlichkeit nicht): zu Prostituierten, zu Abzockern, zu Kranken.
Er hat auch ganz kluge Sachen gesagt. Eigentlich ein perfektes
Vorbild.
Doch leider hat das Idol "Jesus von Nazareth" einen
kleinen Schönheitsfehler: seine Auferstehung. Da hört es dann auf
mit der Vorbildlichkeit. "Auferstanden von den Toten" -
was soll man damit im normalen Leben anfangen?
Jesu Auferstehung ist auch der Punkt, wo seine Biographen -
Schriftsteller oder Filmemacher - schließlich den Schwanz
einziehen. Da wird es meistens etwas schwammig mit der Botschaft.
Anders bei dem Kanadier Denys Arcand. In seinem Film "Jesus von
Montreal" wird der Hauptdarsteller zum Organspender. Doch
langsam und der Reihe nach: Der Film spielt in der Gegenwart. Er
erzählt von einer Schauspieltruppe, die die jährlich
stattfindenden Passionsspiele von Montreal ein wenig aufpolieren
will. Der Kirchenleitung ist das zu provokativ. Bei der
Kreuzigungsszene kommt es zum Clinch mit dem Ordnungspersonal. Der
Hauptdarsteller "Jesus" erleidet einen Unfall. Er wird mit
schweren Verletzungen ins jüdische Krankenhaus eingeliefert. Leider
zu spät. Er stirbt.
Doch die Geschichte geht weiter: Der junge Mann, der Jesus spielte,
spendet seine gesunden Organe, um anderen Menschen zu helfen. Sie
überleben durch seine Hilfe. Das ist natürlich keine platte
Werbung für Organspende, sondern ein Sinnbild: Menschen bekommen
eine neue Lebensperspektive. Ihr Leben geht weiter. Mit veränderter
Qualität. Kein schlechtes Bild für Ostern!
Mittwoch, 18. April 2001
Lazarus
"Das ist kein Alter zum Sterben!", hatten einige bei
seiner Beerdigung gesagt. Lazarus war auch wirklich noch jung,
verdammt jung. Nun lag er im Grab, mitten aus dem Leben gerissen -
ein Mensch, der nicht genügend Zeit hatte, sein Leben zu leben.
Aber was wissen wir schon über ihn? Was wissen wir davon, wie er
mit seiner Krankheit gelebt hat? Zuletzt.
Tatsächlich verstand er es sehr gut, sich auf den unausweichlichen
Tod vorzubereiten. Er wusste, dass er sterben würde. Und er war
sich ebenso sicher, dass sein Tod nicht das endgültige Aus ist. Er
durchlebte seine Krankheit in der Hoffnung auf ein Leben nach dem
Tod. In dieser Hoffnung fand er sogar die Kraft, seine Familie und
Freunde zu trösten: die Eltern, den Bruder, seine Partnerin.
Das ist die Geschichte eines "Lazarus", wie ich ihn kenne.
Dieser Lazarus ist gestorben und im Grab geblieben. Er ist nicht
auferstanden. Er wurde nicht wieder zum Leben erweckt, jedenfalls
nicht nach seinem biologischen Tod. Und doch hat in seinem kurzen
Leben das Leben über den Tod gesiegt. Eigentlich war er schon
vorher zum Leben erweckt worden - noch mitten in seiner tödlichen
Krankheit.
Das habe ich an ihm bewundert: woher er die Kraft nahm, dem Tod ins
Auge zu sehen, und dieses kleine Stück Leben zu lieben, das ihm
geschenkt war. Jeden einzelnen Tag hat er genossen. Jeden einzelnen
Tag abends aus den Händen gegeben, weil er wusste, wie viele - wie
wenige ihm blieben.
Nun ist er tot und ich kann seine Rückkehr nicht einklagen und
nicht erzwingen. Ich kann mich nur von ihm überzeugen lassen, dass
der Tod nicht das letzte Wort hat. Ich kann mich so wie Lazarus mit
dem Tod aussöhnen lassen. Den Tod nicht verdrängen, aber das Leben
lieben. Ich kann mich aufwecken lassen - zum Leben.
Donnerstag, 19. April 2001
Maria von Bethanien
Lazarus war krank, todkrank. Es heißt, er sei ein Freund Jesu
gewesen. Doch als er im Sterben lag, war Jesus weg - unerreichbar
weit weg. Lazarus starb, ohne ihn noch einmal zu sehen.
Maria, die Schwester des Lazarus, trauert um ihren verstorbenen
Bruder. Jesus trifft erst einige Tage später bei der Familie des
Lazarus ein. Maria begegnet Jesus mit Vorwürfen: "Wärst du
nur hier gewesen, dann hätte mein Bruder nicht sterben müssen. Wo
warst du, Christus?" - "Wo warst du, Gott?" Aber sie
bringt ihre Gedanken nicht über die Lippen. Ihre Trauer ist zu
schwer. Sie mag nicht sprechen. Sie verschließt sich.
Es dauert lange, und nichts geschieht, bis Jesus endlich auf Maria
zugeht und sie umarmt. Als Maria ihre Frage los wird, schweigt
Jesus. Keine Entschuldigung, keine Erklärung, überhaupt kein Wort
- nur eine Geste des Tröstens. Die lange wortlose Stille öffnet
beiden einen Raum der Begegnung.
Irgendwann fragt "Jesus": "Wo habt ihr ihn
hingelegt?" Es klingt, als würde er fragen: Wo habt ihr ihn
abgelegt? Wo ist er jetzt für dich? Wo gehört er hin?
Dann beginnt ein langer gemeinsamer Gang, langsam. Vor einem
Blumenstock bleiben beide stehen. Wieder geschieht lange nichts.
Beide schweigen am Grab. Endlich sagt Jesus mit Tränen in den Augen
und brüchiger Stimme: "Gott segne dich und behüte dich, Gott
lasse sein Angesicht leuchten über dir und gebe dir Frieden - und
uns."
Schnitt! Das ist alles. Mag sein, dass Jesus die Kraft hätte, einen
toten Lazarus auch wieder zum Leben zu erwecken. Aber ist das
entscheidend? Letztlich geht es nicht darum, ob Lazarus aus dem Grab
wieder heraus steigt. Irgendwann wird er sterben - und dann? Was
wirklich Kraft über den Tod hinaus gibt, ist die Gewissheit, dass
für Gott niemand verloren geht. Das ist Auferstehungsglaube. Glaube
über den Tod hinaus. In einem Segenswort gewinnt er Ausdruck. In
einem Segen, der beide einschließt, den Toten und die im Leben
Zurückgebliebenen.
Freitag, 20. April 2001
Martha von Bethanien
Lazarus war krank, todkrank. Es heißt, er sei ein Freund Jesu
gewesen. Doch als er im Sterben lag, war Jesus weg - unerreichbar
weit weg. Lazarus starb, ohne ihn noch einmal zu sehen.
Martha, die Schwester des Lazarus, trauert um ihren verstorbenen
Bruder. Jesus trifft erst einige Tage später bei der Familie des
Lazarus ein. Martha überfällt Jesus mit einem Vorwurf:
"Wärst du nur hier gewesen, dann hätte mein Bruder nicht
sterben müssen. Wo warst du, Christus? Wo warst du, Gott?"
Aber in ihren Worten liegt nicht nur der Vorwurf, sondern auch eine
leise Hoffnung, dass selbst jetzt noch etwas geschehen könnte.
"Ich weiß", sagt sie zu Jesus, "dass Gott dir auch
jetzt keine Bitte abschlägt."
Martha ist eine starke Frau. Sie schweigt nicht. Sie überlässt das
Reden nicht den Männern. Sie debattiert mit. Sie weint nicht, sie
wirft sich Jesus nicht zu Füßen, sie ergibt sich nicht. Sie wirft
Jesus Versagen vor. Sie ringt mit Gott und gibt nicht auf. Vorlaut,
zäh, leidenschaftlich - weiß sie manches besser.
Jesus antwortet Martha mit einem steilen Satz: "Ich bin die
Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch
wenn er stirbt." - "Glaubst du das?", fragt er sie.
Und Martha reagiert mit einem eben so steilen Glaubensbekenntnis:
"Ich glaube, dass du Christus bist, der Sohn Gottes, der zu uns
Menschen gekommen ist."
Dann wird erzählt, wie Jesus doch noch ans Grab des Lazarus tritt
und ihn ins Leben zurückruft. Nicht um ein großartiges Schauwunder
zu zelebrieren, sondern um einen Beweis anzutreten. Für die
anderen. Gegenüber den Jüngern Jesu, gegenüber den Trauernden im
Haus des Lazarus ist Martha die einzige, die diesen Beweis nicht
braucht. Sie hat schon verstanden. Sie hat auch ohne dieses Zeichen
verstanden, dass sich der Wert menschlichen Lebens nicht an seiner
Länge bemisst, sondern daran, dass es von Gott geliebt ist.
Samstag, 21. April 2001
Aufstehen ist göttlich
Ein Sprichwort sagt: "Hinfallen ist menschlich, liegen
bleiben aber ist teuflisch."
"Hinfallen ist menschlich" - wohl deshalb, weil der
aufrechte Gang menschlich ist. Die Hände frei. Den Kopf erhoben.
Der Horizont weit. Man hat in dieser Gangart etwas von der Würde
des Menschen gesehen. "Aufrechter Gang" ist ein
Schlüsselwort für Freiheit und Selbstbestimmung. Doch in der
Freiheit liegt das Risiko des Irrtums. Wer wirklich frei ist, für
sich selbst zu entscheiden, riskiert dabei, sich auch einmal zu
täuschen. Deshalb ist Hinfallen menschlich - Irren ist menschlich.
"Liegenbleiben ist teuflisch." - Freiheit und Würde gehen
dem Menschen verloren, wenn er sich von seinen Fehlern
niederstrecken lässt und sich einredet, dass er nichts ist. Er
bleibt liegen, weil es bequemer ist, liegen zu bleiben. Weil sich
die Angst aufbaut, ja doch nur zu versagen, wenn es darauf ankommt.
Liegenbleiben raubt noch den letzten Funken Selbstvertrauen.
Liegenbleiben ist teuflisch.
Doch das Sprichwort geht noch weiter: "Hinfallen ist
menschlich, liegen bleiben aber ist teuflisch - und aufstehen ist
göttlich." Vom Aufstehen ist die Rede, nicht von Auferstehung.
Und doch ist die Anspielung auf die Geschichte Jesu deutlich zu
hören. Jesus wurde gekreuzigt, starb auf qualvolle Weise und wurde
begraben. Am dritten Tag aber wurde er von Gott zu neuem Leben
auferweckt. Wenn mitten im Tod, in der Angst oder Verzweiflung neue
Hoffnung aufkeimt, wenn ich mitten in einem Tief spüre, wie sich in
mir Lebenslust und Lebensmut regt - dann werde ich zu neuem Leben
erweckt. Wenn ich einen Fehler gemacht habe oder mir Versagen
vorwerfe, und dennoch neues Selbstvertrauen spüre - dann ist das
Auferstehung zum Leben.
Es ist göttlich, dass nicht jeder, der hinfällt, am Boden liegen
bleiben muss. Dass es einen neuen Anfang gibt, ein neues Aufstehen,
wieder auf die Beine kommen, sich Hinstellen. Aufstehen zum Leben
ist göttlich.
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