|
GEDANKEN der WOCHE
von Helmut Siebert,
Evangelische Kirche
Der Gedanke
der Woche
Donnerstag, 08. März 2001
"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", behauptet ein
Sprichwort. Dabei stimmt das höchstens zur Hälfte, wahrscheinlich
aber noch seltener.
Beim Bügeleisen allerdings hat das Sprichwort recht: Ist das
Bügeleisen wirklich ausgeschaltet? Kontrolle ist da tatsächlich
besser. Und bei Herdplatten oder Fahrstühlen ist Kontrolle natürlich
auch sinnvoll. Aber das war´s dann auch schon mit der Kontrolle.
Denn schon am Arbeitsplatz kommt man damit kaum noch weiter.
Natürlich kann man Kollegen und Mitarbeiter kontrollieren und
überwachen. Die Leistung hat man damit im Griff; aber der Spaß geht
verloren – und damit oft auch der Erfolg.
In der Liebe ist das genauso beziehungsweise noch schlimmer: Wer da
anfängt zu kontrollieren, hat die Kontrolle schon verloren. Wenn es
um Liebe geht, ist Kontrolle überhaupt nicht besser als Vertrauen. Im
Gegenteil: Kontrolle zerstört das Vertrauen – und die Liebe gleich
mit. Da gilt deshalb: Nur Vertrauen ist gut, Kontrolle dagegen
schädlich.
Und so ist das bei allen wirklich wichtigen Dingen im Leben – was
nicht bedeutet, dass Bügeleisen nicht auch irgendwie wichtig wären!
Aber bei den noch wichtigeren Dingen im Leben, also bei den
entscheidenden Erfahrungen, Erlebnissen und Erkenntnissen kommt man
mit Kontrolle überhaupt nicht weiter, sondern nur mit Vertrauen.
Daher sind auch Gott und der Glaube unkontrollierbare Vertrauenssache.
Da gibt’s nichts zu überprüfen oder zu beweisen – beim Sex ja
auch nicht. Wer da messen oder zählen oder sonst wie kontrollieren
will, kommt am Ende höchstens in Gefahr, den Höhepunkt zu verpassen.
Wobei diese Gefahr im Glauben und bei Gott nicht besteht. Denn da gibt’s
am Ende ein Highlight, das niemand übersehen kann: Nach dem Tod
nämlich brauchen wir nicht mehr an Gott zu glauben oder auf ihn zu
vertrauen, denn dann werden wir ihn sehen. Unter Kontrolle haben wir
ihn dann allerdings immer noch nicht.
weitere Gedanken der Woche
Sonntag, 04. März 2001
Sehtest
Haben Sie mit Gott auch schon den Sehtest gemacht? Den kennen Sie
nicht? Wen kennen Sie nicht: den Sehtest oder Gott? Na ja, das kommt
ja fast auf das gleiche raus, denn mit Gott und dem Sehtest ist das
eigentlich ganz einfach.
Dieser Sehtest funktioniert nämlich so: "Ich glaube nur, was
ich sehe." Und bei Gott ist das Ergebnis vom Sehtest klar und
deutlich: Weil man Gott nicht sehen kann, kann man auch nicht an ihn
glauben. Gott im Sehtest durchgefallen: Schade eigentlich.
Und wie ist das mit Australien? Glauben Sie, dass es Australien
gibt? Sie verstehen nicht, was Australien mit Gott zu tun hat? Hat
auch nicht viel miteinander zu tun – außer, dass jedenfalls ich
beide noch nicht gesehen habe. Sie auch nicht? Und woher wissen Sie
dann, dass es Australien gibt? Ach, ein Kollege hat Ihnen davon
erzählt; und die Freundin kennt sich da aus; und Sie haben auch
schon ein Buch darüber gelesen.
Aber dann könnten Sie ja auch an Gott glauben, denn von dem wird
auch viel erzählt; und das bisher meist verkaufte Buch handelt fast
ausschließlich von Gott. Sie wissen schon: die Bibel.
Also: Wenn Sie wirklich glauben, was andere Ihnen erzählen und was
Sie selber nachlesen können, dann müssten Sie eigentlich ziemlich
fromm sein. Denn fast genau so funktioniert der Glaube an Gott ja
auch: Man hört bei anderen Menschen etwas von Gott und dem Glauben,
liest das eine oder andere vielleicht noch mal in der Bibel nach,
macht sich auch noch eigene Gedanken dazu – und merkt dann
irgendwann, was eigentlich alles dahinter steckt.
Sehen kann man Gott dann allerdings immer noch nicht. Das können
wir erst am Ende unseres Lebens, wenn wir sterben. Denn dann besteht
Gott auch den Sehtest.
Montag, 05. März 2001
"Jeder ist seines Glückes Schmied"
"Jeder ist seines Glückes Schmied", behauptet ein
Sprichwort. Und das ist nicht nur brutal, sondern genau genommen
eine dumme Lüge. Oder wollen Sie es in dieser neuen Woche doch noch
mal probieren?
Na, dann jetzt fix die Ärmel hochgekrempelt, und los geht die
Schmiederei! Zuerst am besten mal ordentlich Feuer machen – also
richtig einheizen: am besten jemand anderem, obwohl das Sprichwort
wohl mich selbst meint. Doch so genau muss man das jetzt ja nicht
nehmen, also weiter, denn man soll das Eisen doch schmieden, solange
es heiß ist.
Möglichst also sofort draufhauen, ohne lange zu zögern oder
nachzudenken. Und wenn der erste Schlag nicht sitzt, dann trifft
hoffentlich der zweite – schließlich geht es ja um das Glück,
das geschmiedet werden soll. Jeder Schlag ein Treffer: Das wär´
schön, aber nicht unverschämt werden. Und gut aufpassen, um nicht
zwischen Hammer und Amboss zu geraten!
Die Frage ist ja auch noch, wie das Glück denn geschmiedet werden
soll: Lieber etwas härter, was allerdings das Draufhauen mühsam
macht – oder lieber ein bisschen weicher, was schöner aussieht,
aber nicht so haltbar ist?
Was denn: Da gibt’s Probleme? Weil da jemand nicht heiß genug ist
– oder nicht weiß, wo der Hammer hängt – oder sein Glück
zerbrochen hat? Ja, wo gibt’s denn so was? Aber ist ja auch egal,
das geht mich nichts an, denn "jeder ist ja seines Glückes
Schmied."
Hat Jesus übrigens auch gesagt – beinahe jedenfalls; der kleine
Unterschied zwischen Jesusworten und Sprichworten ist allerdings
wichtig. Jesus war nämlich auch ein Glücksschmied: und das nicht
nur für sich selbst, sondern auch viele andere haben bei Jesus ihr
Glück gefunden. Nur am Ende hat Jesus sich anscheinend verhauen:
als er am Kreuz hing.
Aber da hat er nur gezeigt, wie das mit dem Glück in Wahrheit
funktioniert: Manches kleine Glück kann man selber schmieden, das
stimmt schon. Aber die Höhepunkte im Leben muss man sich schmieden
lassen: eine heiße Liebe, eine glühende Hoffnung und nach dem Tod
die Ewigkeit.
Dienstag, 06. März 2001
"Marianne Bachmeier"
Heute vor zwanzig Jahren hat eine Mutter Rache genommen. Am 6.
März 1981 tötet Marianne Bachmeier den Mörder ihrer Tochter Anna.
Sie erschießt ihn in einem Lübecker Gerichtssaal.
Annas Mörder, Klaus Grabowski, war einschlägig vorbestraft: Wegen
sexuellen Missbrauchs saß er bereits im Gefängnis. Er ließ sich
kastrieren und wurde nach zwei Jahren aus der Haft entlassen. In
Freiheit unterzieht er sich einer intensiven Hormonbehandlung, die
seine sexuelle Potenz wieder herstellt. Als Klaus Grabowski Anna
ermordet, ist das Mädchen sieben Jahre alt.
Im Gerichtssaal lässt sich Marianne Bachmeier widerstandslos
festnehmen. Sie wird wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 6
Jahren verurteilt.
Und was macht Gott mit solchen Menschen? Wie urteilt Gott?
Natürlich kann das niemand wissen, aber glauben und hoffen können
wir.
Am einfachsten – so pervers das klingt – ist das bei der kleinen
Anna. Meine eigenen Kinder übrigens sind heute fast so alt wie Anna
damals. Wenn Kinder dem Wahnsinn von Erwachsenen zum Opfer fallen
– und das passiert ja nicht nur bei Sexualvergehen – kennt Gott
das. Sein eigener Sohn wurde auf wahnsinnige Art am Kreuz zu Tode
gefoltert. Gott hat Jesus nicht gerettet, aber er hat ihm neues
Leben geschenkt.
Gerächt hat Gott sich an den Mördern von Jesus allerdings nicht.
Es sei denn, Leid und Trauer in der Welt wären die Folgen von Jesu
Tod. Gerächt hat Gott sich nicht, sondern immer wieder vergibt er
Schuld: sicherlich beziehungsweise hoffentlich auch die von Marianne
Bachmeier. Ich selber jedenfalls verstehe ihr Handeln.
Doch das gleiche wie für Annas Mutter gilt wohl auch für Annas
Mörder: Vermutlich vergibt Gott auch ihm – so unglaublich das
auch erscheinen mag. Gott ist eben anders ist als wir und misst
nicht mit menschlichen Maßstäben. Diese Gottes Gnade ist
eigentlich unsere einzige Hoffnung, denn was würde aus uns selbst,
wenn Gott alle Schuld und jeden Fehler rächen würde?
Mittwoch, 07. März 2001
"Dollys Geburtstag"
Heute können wir feiern – wenn wir wollen: Denn heute hat
Dolly Geburtstag. Wir hätten aber auch gestern Bodelschwinghs
Geburtstag feiern können. Sie kennen weder Dolly noch Bodelschwingh
so richtig? Dann stelle ich beide Geburtstagskinder am besten einmal
kurz vor – dann können Sie selbst entscheiden, wem Sie Glück
wünschen wollen.
Ich fang´ mal bei Dolly an: Dolly hat heute ihren fünften
Geburtstag – wobei es mir etwas schwer fällt, von Geburtstag zu
reden. Denn Dolly ist zwar auf natürlichem Weg geboren worden, doch
richtige Eltern hat sie eigentlich nicht. Denn genau genommen ist
Dolly die Schwester von ihrer Mutter – noch genauer gesagt sogar
die Zwillingsschwester von ihrer Mutter. Dolly wurde nämlich
geklont – und zwar als erstes Säugetier der Welt. Und was vor
fünf Jahren mit dem englischen Schaf Dolly begann, wird in England
so ähnlich jetzt natürlich auch mit Menschen probiert: Menschliche
Zwillinge, Drillinge und Noch-mehr-linge werden in Labors
gezüchtet, um Krankheiten und Behinderungen zu erforschen.
Krankheit und Behinderung prägen auch unser zweites Geburtstagskind
– obwohl Friedrich Bodelschwingh selber weder krank noch behindert
war. Vor einhundertsiebzig Jahren wurde Bodelschwingh geboren. Von
Beruf Pfarrer kümmert er sich bald besonders um behinderte
Menschen: In Bethel bei Bielefeld übernimmt er die Leitung eines
Heims für Epileptiker. Daraus entsteht schließlich die größte
kirchliche Sozialeinrichtung der Welt. Für Bodelschwingh sind
Behinderte kein genetischer Unfall oder Abfall, sondern Menschen,
die Liebe und Respekt verdienen.
Also: Bei welcher Geburtstagsparty wollen Sie feiern und
gratulieren? Bei Dolly und ihren perfekt geklonten Geschwistern,
wann und wo auch immer die eingefroren sind oder geboren werden? Ich
entscheide mich lieber für Bodelschwingh: Seinen Nachfolgern
wünsche ich Glück und Geduld. Denn ich möchte keine perfekt
gezüchteten Kinder, sondern Menschen mit Ecken und Kanten – und
dafür nehme ich auch in meiner Familie Schmerz und Trauer in Kauf.
Freitag, 09. März 2001
"Purim-Fest"
Fastnacht und Karneval sind vorbei, aber heute können wir
weiterfeiern: allerdings ein Fest, bei dem es um Leben und Tod geht:
Purim heißt dieses Fest aus Israel. Bunt verkleidet ziehen die
israelischen Kinder heute durch die Straßen: Rosenmontag im Nahen
Osten? Das stimmt nicht ganz, denn die jüdischen Kinder feiern die
Rettung vor einem Massenmord.
Begonnen hat die mörderische Fastnacht vor zweieinhalbtausend
Jahren. Israel lebt unter persischer Herrschaft, und der neueste
Befehl des persischen Königs ist unmissverständlich: "Alle
Juden – Männer, Frauen und Kinder – sollen an einem einzigen
Tag erschlagen, ermordet und ausgerottet werden. Der jüdische
Besitz ist zur Plünderung freigegeben." Die erste staatliche
Judenverfolgung kann beginnen. Das Ziel des Pogroms ist klar:
Ausländer raus, aber ihr Geld bleibt hier.
Damals allerdings haben die Juden den Spieß umgedreht –
wortwörtlich. Sie protestieren beim König gegen das Pogrom – mit
gutem Grund: Sein Königreich braucht die jüdischen Arbeitskräfte.
Dem König leuchten die Argumente ein: Er korrigiert den Mordbefehl.
Und er fordert die Juden zur Selbstverteidigung auf. Die Rettung
gelingt: Aber die dramatische Notwehr kostet Menschenleben, denn die
Juden müssen nun selber töten, um zu überleben.
Der Tag des geplanten Massenmords war übrigens ausgelost worden.
Das persische Wort für Los heißt "Pur". Daher hat das
jüdische Purim-Fest bis heute seinen Namen: Das Leben wirkt wie
eine Lotterie mit der Rettung aus Todesgefahr als Hauptgewinn. Man
braucht Glück, um so ein großes Los zu ziehen – und die Nieten
bleiben auf der Straße liegen.
Ich selber könnte da nur schlecht mitfeiern. Doch ich musste auch
nie miterleben, was Israel schon alles überlebt hat. Beeindruckend
finde ich, wie Israel aus Todesgefahr ein Volksfest macht. Ob uns
das mit Karneval und Fastnacht auch gelingen würde?
Samstag, 10. März 2001
Liege-Training
Es war am Ende des Lauf-Trainings abends kurz vor dem Heimweg, da
trifft es mich wie ein Schlag von Hinten. Ich falle zu Boden, will
mich schützen oder wehren – aber da ist keiner, der mich
geschlagen hätte. Es war auch kein Schlag, sondern ein Riss:
Achilles-Sehne kaputt.
Und sofort sieht die Welt anders aus, denn es geht mir wie dem
Achilles aus der griechischen Sagenwelt, von dem die Sehne ihren
Namen hat: Ohne dieses Teil im Fußgelenk liegt man flach, zumindest
körperlich – aber eigentlich nicht nur körperlich. Denn
tatsächlich müsste man das Liegen trainieren wie das Laufen.
So ein Samstag könnte eine gute Gelegenheit für ein Liege-Training
sein. Probieren Sie es mal aus: jetzt sofort oder heute Nachmittag.
Einfach mal hinlegen wie flachgelegt und die Beine hochgelegen. Das
tut ja eigentlich gut: Pause zu machen und eben nichts zu machen.
Aber wie lange kann man still liegen – wenn vieles noch getan und
erledigt und geschafft werden muss? Aber genau damit beginnt das
Liege-Training: das Nichtstun auszuhalten.
Also liegen bleiben und überlegen, was heute nicht getan werden
muss – jedenfalls nicht von mir oder nicht sofort – oder
vielleicht auch gar nicht. Liegenbleiben und alles rausstreichen aus
dem Kalender oder dem schlechten Gewissen oder wo auch immer sich
das Unerledigte versammelt. Und schon fängt das Liegetraining an zu
wirken.
Also weiter schön liegen bleiben – und dann einmal überlegen,
was jetzt wirklich wichtig und schön wäre. Und genau das dann tun,
so gut es im Liegen geht. Beziehungsweise um Hilfe bitten, wenn es
im Liegen nicht geht – aber vieles geht ja auch im Liegen.
Hat Jesus übrigens auch gemacht, gerade wenn er viel unterwegs war:
In der Bibel heißt das nicht Liege-Training, sondern Beten und
Meditation, aber das Ergebnis dieser beruhigenden Pausen ist
ähnlich: Wichtiges trennt sich von Unwichtigem; der Sinn des Lebens
wird deutlicher. Und deshalb freu ich mich auch, bald wieder laufen
zu können.
Ihre Meinung und Kritik
zu
den
"Gedanken" interessieren uns,
hier können Sie sie uns mitteilen
Steinmann@Kirche-im-SWR.de
|