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GEDANKEN der WOCHE
von Dorothee Wüst,
Evangelische Kirche
Der Gedanke der Woche
26. Januar 2001
Hat sie aber auch reinbeißen müssen. Diese Eva. Dieses neugierige
Weibsstück. Aber das wissen wir ja. Frauen sind eben neugierig. Man
kann ihnen keine Geheimnisse anvertrauen - sie plaudern sie aus. Man
kann sie nicht überraschen - sie wissen es eh vorher. Man kann ihnen
noch soviel verbieten - Evas Töchter setzen sich einfach darüber
hinweg. Wie eben Eva selbst mit ihrem Apfel. Hat sie aber auch
reinbeißen müssen.
Und nicht genug damit. Kaum hat sie gekostet von der verbotenen
Frucht, reicht sie sie weiter. Und Adam, der Treudoofe, tut es ihr
nach. Beißt in den Apfel und isst ihn mit Stumpf und Stiel. Aber er
kann ja nichts dafür. Er ist ja verführt worden von Eva. Eva, der
Neugierigen.
Ja, Eva war neugierig. Und ich kann es ihr nicht verdenken. Was heißt
denn Neugier? Gierig nach Neuem. Daran kann ich noch nichts Falsches
entdecken. Das Bedürfnis, sich weiterzuentwickeln, zu neuen Ufern
aufzubrechen, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Daran ist nichts
Falsches. Und wenn das Neugier ist, dann bin ich gerne neugierig.
Neugierig wie Eva.
Die Konsequenzen muss ich dann allerdings auch in Kauf nehmen. So wie
Eva. Und der treudoofe Adam übrigens auch. In der Bibel klingen die
auch richtig furchtbar. So mit Engel und Schwert und bösen Worten und
allem. Aber was ist eigentlich passiert? Die beiden haben sich
gegenseitig in ihrer Sexualität entdeckt. Und die ist von Anfang an
eine gute Gabe Gottes.
Aber um sie genussvoll zu leben und lebendig zu genießen, muss der
Mensch erwachsen werden. Und das kann er nicht im Paradies. Dazu muss
er ins Leben, in die Welt gehen. Er muss Erfahrungen machen und an
ihnen reifen. Er muss wie ein Kind das Leben lernen mit all seinen
Seiten. Den guten und den schlechten. Daran entwickelt sich der
Mensch. Und wenn es gut läuft, dann entdeckt er in manchem Moment der
Zweisamkeit einmal wieder die Sphären des Paradieses.
Offengestanden bin ich ganz froh, dass sie neugierig gewesen ist,
diese Eva.
weitere Gedanken der Woche
21. Januar 2001
Mit Legenden ist das so eine Sache. Bei Legenden denkt man immer
gleich an Märchen. Und Märchen sind ja nicht wahr. Märchen sind
so nie passiert. Genauso wenig wie Legenden. Trotzdem erzählen
Menschen Legenden und Märchen. Weil sie von einer Wahrheit
sprechen, die hinter Tatsachen und Fakten liegt. So ist es nicht
passiert. Und dennoch gibt es einen Sinn. Sogar einen zeitlosen
Sinn. Wenn es gute Märchen, wenn es gute Legenden sind.
Die Bibel strotzt vor Legenden. Sie fängt an mit einer Legende. Der
Legende vom Paradies. Da wird erzählt von einem wunderschönen
Garten, den man Eden nennt. Voller blühender Blumen und prächtiger
Bäume. Mit Quellen und Bächen und Flüssen. Und sonst nichts.
Tummelwiese für den Menschen. Und den hat Gott auch schon fertig.
Aus Lehm hat er ihn gemacht, aus feuchter Erde. Wie ein Töpfer hat
er eine Figur geformt mit dem Aussehen eines Menschen. Mit seinem
Atem hat er ihm das Leben eingehaucht. Und alles zusammen heißt
dann Adam.
Natürlich ist der Mensch nicht aus Lehm. Und dennoch haben unsere
Vorfahren einen guten Blick fürs Grundsätzliche gehabt. Wir sind
nicht aus Eisen, das letztendlich verrostet. Unser Körper ist auch
kein Diamant, der unvergänglich ist. Der Mensch ist eben ein
sterbliches Wesen und wird zu Staub. Und wenn er zu Staub wird - so
dachten unsere Vorfahren - dann ist er vielleicht ja auch aus Staub
gemacht. Bis in alle Ewigkeit hält diese Hülle jedenfalls nicht.
Sauber erkannt.
Wir sind Körper auf Zeit. Ob wir das gerne hören oder nicht. Unser
Körper ist uns auf Zeit geschenkt. Da können wir noch so viel
forschen und erkennen. An unserer Begrenztheit werden wir
letztendlich nichts ändern. Das ist die schlechte Nachricht. Aber
innerhalb dieser Begrenztheit sind wir da. Prägen und entscheiden
den Lauf der Welt. Das ist die gute Nachricht. Und deswegen beginnt
in der Bibel alles Leben im Paradies. Wo sonst?
22. Januar 2001
Da macht Gott also den Menschen aus einem Klumpen Lehm. Bei
dieser Szene lässt die Bibel der Phantasie freien Lauf. Gott formt
eine Hülle, er bessert hier ein bisschen, er bessert da ein
bisschen. Er konturiert das Gesicht, er formt die Gliedmaßen.
Drückt hier ein wenig und zieht dort ein wenig. Bis die Hülle
fertig ist. Die Hülle eines Menschen.
Doch zunächst ist es auch nur eine Hülle, die Gott da macht. Damit
aus der Hülle ein Mensch wird, bläst er ihn an. Er bläst ihm
seinen eigenen Atem in die Nase. So erzählt die Bibel. Gott haucht
dem Menschen sozusagen das Leben ein. Und plötzlich entfaltet der
seine Lungen und beginnt zu atmen. Er regt die Glieder und schlägt
die Augen auf. Die Entstehung des Lebens.
Keine Zeile wert in einem Biologiebuch. Da ist sowieso von Wundern
wenig die Rede. Eher von Eiern und Samenzellen und Befruchtung. Aber
dass aus diesen Einzelteilen ein atmender Mensch wird, das bleibt
auch für die Biologie ein Wunder. Und nichts anderes beschreibt die
Bibel. Das Wunder des Lebens. Dessen Entstehung man zwar erklären,
aber eigentlich dennoch nicht begreifen kann.
Die Bibel kann das auch nicht begreifen. Deswegen bringt sie Gott
ins Spiel. Wenn es um etwas so Großartiges wie das Leben selbst
geht, dann muss Gott mit von der Partie gewesen sein. Mit seinem
eigenen Atem. Das Leben ist ein Stück von Gott. In jedem Menschen
ist etwas Göttliches. Und damit ist er uns verbunden. Von Anfang
an. Besonders am Anfang.
Und das ist vielleicht sogar die Pointe an der Geschichte mit dem
Atem Gottes. Wenn Gott dem Menschen das Leben einhaucht, dann muss
er ihm schon sehr nahe sein. Sonst würde es nicht funktionieren.
Wenigstens in dem Moment, in dem ein Mensch zu leben beginnt, ist er
ganz in Gottes Nähe. Wohin auch immer dann sein Weg geht.
23. Januar 2001
Als Gott den Menschen geschaffen hat, ist er erst einmal
zufrieden. Der Mensch aber nicht. Er schaut sich um im Paradies und
entdeckt dessen Schönheiten. Aber auch die größte Schönheit wird
irgendwann langweilig. Und so hat der erste Mensch Langeweile. Er
sitzt im Gras und lauscht dem Wind und spielt mit einer Blume. Und
langweilt sich.
So steht es in der Bibel. So steht es in der Urgeschichte, die vor
langer, langer Zeit spielt. Und doch passiert es jeden Tag. Die Welt
ist voller Ereignisse, Events und Abenteuer. Aber der Mensch sitzt
mittendrin und langweilt sich. Das kann alle möglichen Ursachen
haben. Heutzutage. Überdruss zum Beispiel. Man hat alles schon
gesehen und hat von allem genug. Trägheit zum Beispiel. Man könnte
etwas tun, kriegt aber nicht so richtig den Hintern hoch.
Schüchternheit zum Beispiel. Man möchte etwas tun, findet aber
niemanden, der mittut. In allen Fällen bleibt man lieber zu Hause
und langweilt sich. Und all die Schönheit der Welt, die kann einem
gestohlen bleiben.
So ging es auch dem ersten Menschen. Das zauberhafte Blau des
Himmels, das knackige Grün der Blätter, der aromatische Duft des
Thymian: das alles kann ihm gestohlen bleiben. Ist ja keiner da, mit
dem er es teilen kann. Er wird der Schönheit überdrüssig. Ist zu
träge, um mit dem Wind um die Wette zu laufen. Hat es satt, allein
über die Hügel zu streunen. Und so wird sein Gesicht länger und
länger und seine Laune schlechter und schlechter. Aus Langeweile
schläft er ein.
Als er aufwacht, ist er nicht mehr allein. Neben ihm räkelt sich
ein anderes Wesen. Das so aussieht wie er und doch nicht so aussieht
wie er. Weicher an manchen Stellen und so ganz ohne Haare im
Gesicht. Und damit beginnt eine lange Zeit, in der der Mensch
entdeckt, wie viel Spaß er mit anderen Menschen haben kann. Vor
allen Dingen dann, wenn sie nicht genauso aussehen wie er.
Und die Moral von der Geschicht? Das schönste Paradies ist wenig
wert, wenn man allein drin sitzt. Deswegen hat Gott diese
großartige Idee gehabt, den Menschen im Plural zu erschaffen. Und
wenn Menschen miteinander gute Gemeinschaft haben, dann erleben sie
auch ein Stück vom Paradies. Nicht nur in der Urgeschichte.
24. Januar 2001
Die Sache mit der Rippe hat uns ja schon immer zu schaffen
gemacht. Uns Frauen. Denn so erzählt die Bibel. Dass die Frau weder
vom Himmel gefallen noch aus der Erde gewachsen ist, sondern aus der
Rippe des Mannes gemacht worden ist. Ausgerechnet aus der Rippe.
Hätte es dafür keinen schöneren Knochen gegeben?
Andererseits: Was tun die Rippen? Sie halten das gesamte
Körpergefüge zusammen. Sie verleihen Stabilität und halten den
Menschen aufrecht. Sie schützen die lebenswichtigen Organe und
machen eine gute Figur. Allesamt Eigenschaften, die doch wohl auch
die Frauen auszeichnen.
Sie verleihen Stabilität: Was wäre die Gesellschaft ohne Frauen?
Sie halten ganze Familien am Laufen und sorgen dafür, dass der
Haushalt funktioniert. Sie bereichern die Arbeitswelt mit
Kreativität und emotionaler Intelligenz. Sie machen Fehler, aber
sie machen andere Fehler als Männer. Sie halten die Menschheit ganz
schön aufrecht. Selbst wenn sie selbst nicht mehr aufrecht gehen
können.
Und die lebenswichtigen Organe schützen sie auch. Oder besser
gesagt: Sie schützen das Leben. Sie trösten ihre Kinder, wenn sie
sich das Knie aufgeschlagen haben. Sie zerren sie von der Straße,
bevor ein Auto kommt. Sie lehren sie die Regeln des Lebens und
behüten sie vor den Gefahren des Lebens. Und bei all dem geben sie
sich in der Regel die größte Mühe, auch noch eine gute Figur zu
machen.
Es gibt schlechtere Knochen als die Rippe. Aus einer Rippe gemacht
zu sein, ist fast ein Kompliment. Und das muss Gott ganz bestimmt im
Blick gehabt haben, als er die Frau gebastelt hat. Wenn also einmal
wieder im Zusammenhang mit Frauen das Wort Rippe fallen sollte, dann
werde ich wohl still in mich hinein lächeln.
25. Januar 2001
Das Schaf ist doof, der Hund ist treu. Der Löwe ist mutig, die
Biene ist emsig. Und die Schlange ist verschlagen. Verschlagen und
listig und heimtückisch. Diesen überaus schlechten Ruf hat sie der
Bibel zu verdanken. Die hat ihr in der Geschichte der Menschheit
eine ganz besondere Rolle zugedacht. Die Rolle der Versuchung.
Da huschen diese beiden Menschenkinder unbedarft und frohgemut durch
das Paradies. Das ihnen offen steht bis in den letzten Winkel. Sie
dürfen alles schauen und riechen, tasten und essen. Bis auf eines.
Die Äpfel dieses einen Baumes, die sind ihnen verboten.
Aber wie das so ist mit Verboten: Erst dann wird es richtig
interessant. Und so schleichen sie in immer enger werdenden Kreisen
um diesen Baum. Und immer öfter stehen sie darunter und betrachten
die Äpfel. Sehen die nicht besonders verlockend und lecker aus?
Aber es sind ja verbotene Früchte. Also: Finger weg.
Jetzt kommt die Schlange ins Spiel. Sie ringelt sich um einen Ast,
senkt ihren langen Leib Richtung Boden und züngelt ein bisschen.
Bis sie die nötige Aufmerksamkeit hat. Das gefällt ihr. Jetzt
beginnt sie zu zischeln. Ein Zischeln, das kein Mensch versteht.
Außer: Er will etwas Bestimmtes hören.
Und siehe da, der Mensch hört. Hört in dem Zischeln die Stimme der
Versuchung. Je länger es zischelt, desto größer die Versuchung.
Bis man ihr erliegt. Oder besser gesagt: Bis frau ihr erliegt. Der
Versuchung, endlich in diesen knackigen verbotenen Apfel zu beißen.
Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf: Rausschmiss aus dem
Paradies. Ob die Schlange das geahnt hat? Oder ob sie nur aus
Langeweile ein bisschen vor sich hingezischelt hat?
Die Versuchung ist nur eine Stimme. Manchmal nur ein Geräusch oder
ein Geruch. Und in den seltensten Fällen kommt sie von außen. Die
Versuchung lauert in mir. Und ob ich ihr standhalte oder ihr
erliege: Letztendlich ist es meine Entscheidung. Da kann es um mich
herum doch zischeln, soviel es will.
27. Januar 2001
Ein schäbiger Holzkreisel
in einer Glasvitrine. So alt wie ein Jahrhundert. Die Farbe
blättert ab. An einer Stelle hat eine ungeschickte Kinderhand
Buchstaben eingekratzt. Gisela soll es wohl heißen. Links und
rechts neben dem Holzkreisel stehen kostbare Porzellanfiguren,
Kristallvasen und Sammeltassen. Was macht dieser Kreisel hier?
Der gehört mir gar nicht, erklärt die alte Dame, die hier wohnt.
Er gehörte einem Nachbarsmädchen namens Gisela. Sie war meine
Freundin. Wie oft haben wir mit diesem Kreisel auf dem Hof gespielt.
Und wenn er sich am dollsten drehte, dann hat sie sich auch gedreht.
Ihre braunen Locken flogen und ihre Augen blitzten. Sie war so ein
lebhaftes Kind. Voller Temperament und Leben.
Was ist aus ihr geworden, will ich wissen. Die alte Dame zuckt mit
den Achseln und ihr Augen gleiten in die Vergangenheit. Eines Tages
war sie weg, erzählt sie weiter. Da hatten wir schon lange nicht
mehr miteinander auf dem Hof gespielt, weil sie gar nicht mehr nach
draußen durfte. Ihre Eltern hatten es ihr verboten. Und eines
Tages, wie gesagt, da war sie weg. Alle waren weg. In der
Morgendämmerung war ein Lastwagen gekommen und hatte sie
mitgenommen. So tuschelten die Nachbarn. Umgesiedelt oder in ein
Arbeitslager.
Da habe ich mich an den Kreisel erinnert, sagt die alte Dame. Vor
Wochen schon hatte sie ihn mir geliehen. Und er lag in meiner
Spielzeugkiste. Ich wollte ihn ihr zurückgeben. Aber das ging ja
jetzt nicht mehr. Ich habe ihn behalten. Und irgendwie hat er sogar
den Krieg überstanden. Nach dem Krieg habe ich sie gesucht, die
Gisela. Aber keiner wusste, wo sie geblieben war. Erst viele Jahre
später habe ich ihren Namen gelesen. Er gehörte zu denen, die in
Auschwitz umgebracht worden sind.
Im Zimmer ist es still. Der Kreisel scheint größer geworden zu
sein. Er spiegelt sich im Glas der Vitrine. Die alte Dame betrachtet
ihre Hände. Und in ihren Augen sehe ich ein kleines Mädchen mit
braunen Locken und blitzenden Augen, das sich dreht und dreht und
dreht.
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