Gelegenheit macht Diebe
In Sprichwörtern steckt Lebenserfahrung.
Erfahrung wird in Sprüchen weitergegeben. "Gelegenheit macht
Diebe" ist so etwas nach dem Muster: Tugend ist ein Mangel an
Gelegenheit.
Da liegt in einer Telefonzelle ein schwarzes Portmonnaie, mit Geld drin.
Was tun? Hat mich jemand gesehen? Im Fundbüro abgeben? Oder behalten,
einschieben? Und der Eigentümer? Schicksal. Für mich: Glück oder –
ein Geschenk des Himmels. Ausreden sind schnell zur Hand. Dabei wissen wir
doch eigentlich alle, was der Himmel will und was er schenkt.
Das Portemonnaie in der Telefonzelle – und was dann? Das ist schon eine
beliebte Versuchsanordnung mit versteckter Kamera. Wie ehrlich sind wir
eigentlich? Testen wir mal. Die Leute wurden dann ein paar Meter weiter
angesprochen, fast alle sagten, sie wollten gerade den Fund melden. Okay.
Gelegenheit macht Diebe – nein, das ist kein Naturgesetz! Und Habgier,
die man mit Strafen in Schach halten muss, die lauert nicht in allen
Menschen. Als wären wir ihre sichere Beute.
Ich las in der Zeitung (dpa) eine kurze Meldung: Ein Juwelier in Coesfeld
hat unfreiwillig die Ehrlichkeit der Bürger in der westfälischen Stadt
getestet. Er hatte am Sonnabend sein Geschäft für das Wochenende
abgeschlossen und dabei einen kompletten Ständer mit Schmuck auf der
Straße stehen lassen. Ein Passant informierte die Polizei. Als der
Juwelier am Montag seinen Schmuckständer abholte, fehlte kein einziges
Stück. Ihm war seine Vergesslichkeit peinlich: "Mir wäre es lieber
gewesen, wenn das einem Angestellten passiert wäre", sagte er der
Polizei.
"Mist!" denke ich. Anstatt sich über seine Mitbewohner zu
freuen und zu bedanken, dass diese gute Gelegenheit aus ihnen keine Diebe
gemacht hat, hat er Mühe damit, dass er selbst einen Fehler gemacht hat.
Schade.
Dafür zählt jetzt Ehrlichkeit zum Schmuck von Coesfeld! Schmuck auf
offener Straße nicht geklaut! Gelegenheit macht keine Diebe. Eine Zierde
für alle in der Stadt.
Dienstag, 27. Februar 2001
Schwarze Katze
Die Frau sah den Pfarrer auf der anderen
Straßenseite. Sie kommt zu ihm rüber: "Herr Pfarrer, ich muss Ihnen
was beichten. Ich hab mich nämlich heut‘ morgen so erschrocken,
fürchterlich. Wie ich da aus dem Haus komm, huscht doch eine schwarze
Katze vor mir quer über den Weg. Von links, Herr Pfarrer! Das muss ich
Ihnen beichten."
"Ich versteh Sie nicht ganz."
"Ja, weil ich mich doch so erschrocken hab! Und man darf das doch
nicht, nicht so denken. Drum muss ich Sie jetzt aber doch fragen: bringt
das Unglück, wenn eine schwarze Katze von links über den Weg
springt?"
"Ja und nein. Das kommt darauf an"
"Jetzt versteh‘ ich Sie nicht."
"Wissen Sie, das kommt darauf an, ob Sie eine Maus sind – oder ein
Mensch."
Schweigen. – Dann lachen beide.
Aberglauben nennt man das. Schön, wenn man darüber so befreit lachen
kann! Aberglauben hat viele Gesichter. Schwarze Katzen kommen weniger vor.
Dafür ist Astrologie ziemlich beliebt. Im Grunde allgegenwärtig.
Horoskope in Zeitschriften, im Internet, im Fernsehen. Aber wieso soll
mein Glück in den Sternen vorgezeichnet stehen? Sie sind doch ziemlich
weit weg, und auf die Entfernung: wie sollten sie mich berühren?
Ob Glück in der Liebe, beim Hausbau oder Gebrauchtwagenkauf – allen
Ernstes gibt es Leute, die rufen bei so einem Mann in der Sendung an. Der
hat vor sich sein Lap-top aufgeklappt und bedient sein
Astro-Software-Programm. Sie nennen ihm ihr Geburtsdatum, oder das der
Schwiegertochter oder von ihrem Partner. Sie meinen, der sei ihres
Glückes "Schmidt", weil er ausdrücken könne, was die Sterne
sagen. Dabei werden Sie seelisch zur Maus.
Martin Luther schrieb einmal über die Astrologie: "Wenn
sie sagen, dass ein jedes Zeichen und Gestirn seinen Einfluss habe,
besonders auf die Menschen, dass der, der unter einem bestimmten Zeichen
geboren ist, eine bestimmte Natur haben, ein bestimmtes Leben führen,
einen bestimmten Tod sterben müsse, womit sie alles vorhersagen wollen,
wie es einem jeden gehen soll, das ist falsch und erdichtet. Denn sie sind
nicht darum geschaffen, dass sie mich meistern, sondern mir zu Nutz und
Dienst. Über Tag und Nacht sollen sie regieren, aber über meine Seele
sollen sie kein Regiment und Gewalt haben. Der Himmel ist dazu gemacht, dass
er Licht und Zeit gebe; die Erde, dass sie uns trage und speise. Mehr
können sie nicht von sich geben noch wirken."
Mittwoch, 28. Februar 200
Gen-Ethik
Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden
gen Osten hin
Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume,
verlockend anzusehen und gut zu essen,
Und Gott der HERR nahm den Menschen, den er gemacht hatte,
und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
(1. Mose 2,8-9+15)
Und der Mensch bebaute den Garten fort und fort
und hatte gegessen vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und der
Mensch forschte so lange, bis er eine Pflanze hatte, die er vor dem Gift
des Ackers bewahrte.
Und der Mensch ging damit nun hin nach München zum Europäischen
Patentamt. Da erhob Greenpeace seine Stimme: "Wie wollt Ihr das Leben
patentieren?" Die Wissenschaftler aber im Europäischen Patentamt
fühlten sich zu Unrecht angegriffen. Sie machten doch nur ihre Arbeit und
haben jetzt ein Patent bestätigt auf gentechnisch veränderte Pflanzen.
Die sind resistent gegen ein bestimmtes Unkrautvernichtungsmittel. Und
sein Name ist Basta.
Und der Mensch kann nun hergehen und dieses Gen einbauen in Pflanzen wie
Mais, Bohnen oder Tomaten. Und der Mensch kann den Garten Eden zur
Wüstenei verwandeln. Dass der werde wieder wie zu der Zeit, bevor Gott
der HERR Erde und Himmel machte. Da waren alle die Sträucher auf dem
Felde noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht
gewachsen.
Und so wird morgen unter dem Gift des Ackers kein Kraut und kein Halm mehr
wachsen, außer den Herbizid-Resistenten. Genmanipulierte Pflanzen und
Gewinne werden wachsen. Sonst nichts. Denn siehe, Saatgut und Unkraut-Ex
kommen aus einer Hand.
Inhaber des Patents EP 275.957 ist die Firma Agrevo. Sie ist eine Tochter
des europäischen Chemie-Riesen Aventis mit Sitz in Straßburg. Das
Unkrautvernichtungsmittel heißt wirklich "Basta". Basta heißt:
Es reicht!
Donnerstag, 1. März 2001
Antisemitismus
Ich habe einen Brief bekommen. Ein
antisemitisches Pamphlet der übelsten Sorte. Widerwärtig.
Unbeschreiblich, der Hass, die Mordphantasien darin. Die Worte,
menschenverachtende Hass-Sprache. Michel Friedmann, Paul Spiegel und
Reich-Ranitzki werden namentlich genannt. Was ist das Ziel? "Juden
raus." Das soll verbreitet werden. Und es wird in dem Brief gewarnt
vor Justiz und Polizei, vor Politikern wie Sozis, Grünen und
Postkommunisten, vor Gewerkschaftlern und Journalisten, vor Paukern und
Sozialarbeitern. Gewarnt wird insbesondere vor den "Vertretern der
beiden großen Judenreligionen EKD und katholischer Kirche."
Der Brief wurde anonym aufgegeben, in einem Dorf im Siegerland. Er ist ein
Beispiel, dass Fremdenfeindlichkeit und Hetze gegen Juden auch in
West-Deutschland vorkommen, und nicht ausschließlich in den neuen
Ländern. Ich muss an den gewaltige Anstieg registrierter rechtsextremer
Straftaten denken im vergangenen Jahr. Rechts außen ist manchmal in der
Mitte von unserm Land.
Wie kommt es denn zu so viel Hass bei uns? Warum sind einige Leute davon
beseelt, andere Leute einzuschüchtern, sie an den Rand zu drängen und
fertig zu machen, als sei das eine hehre Aufgabe?
Da muss vorher viel schief gelaufen sein in der Biographie dieser Leute.
Ich bin nämlich davon überzeugt: Niemand wird geboren, niemand kommt auf
die Welt, um eines Tages anderen mit seinen Stiefeln ins Gesicht zu
treten. Da müssen mit ihm schlimme Dinge passiert sein. Denn alle
Menschen wollen Respekt. Alle Menschen sind in Gottes Augen gleich
liebenswert. Alle Menschen sind seine Kinder. Wir sind Geschwister.
Darum kann es nicht angehen, dass ein paar sagen, wir wollen Probleme
lösen durch Ausgrenzung von Menschen. Nach dem Schema: bringen wir alle
Traurigen um, dann werden wir Fröhlich. Bringen wir die Kranken um, dann
werden wir Gesund. Aber das ist krank und inhuman. Das ist das
Gesellschaftsmodell des Faschismus.
Aber Gott will, dass allen Menschen geholfen wird, und also niemand
ausgegrenzt oder verletzt wird. Gewalt ist keine Lösung. Alles hat
Auswirkungen aufs Ganze. "Wer Euch antastet, der tastet meinen
Augapfel an!" lässt Gott ausrichten (Sacharja 2,12). Am besten
wirken immer noch gelebte Beispiele. Beispiele, wie das geht, dass wir
hier respektvoll miteinander leben. Alle Menschen hier haben ein
Lebensrecht. Ich bin überzeugt, dass jede und jeder sich dazu gute
Gedanken machen kann, was wir dafür tun könnten.
Freitag, 2. März 2001
"Robinson 2.0 ist Gott los geworden"
Kristallblauer Himmel. Kokos-Palmen. Korallen.
Weißer Südseestrand. Ein Mann schwimmt schwerelos im Wasser. Nein, nicht
als Urlauber: er ist in voller Montur, er schwimmt auch nicht, er treibt
im Wasser das Gesicht nach unten, aufgedunsen. Eine Wasserleiche. Sie wird
anschließend am Strand beigesetzt, bestattet. Eine Szene in dem Film »Cast
away – Verschollen« mit Tom Hanks, der in den Kinos sehr erfolgreich
läuft. Von ihm stammt übrigens auch die Idee zu diesem Film.
Tom Hanks hat für seine Rolle erst 20 Kilo zugenommen! Und dann 30 Kilo
abgenommen und nach einem Jahr weitergedreht. Schon beeindruckend.
Angeblich identifiziert man sich irgendwie mit dem Hauptdarsteller,
vergleicht sich.
Aber vor allem hätte ich etwas anderes nicht gekonnt. Wenn die Idee zum
Film von mir gekommen wäre, ich hätte dann nicht so konsequent und so
klar eine Hauptfigur ins Drehbuch einbauen können, die keine Religion
hat. Jemand, der gottlos - der Gott los geworden ist.
Der Hauptdarsteller, ein Repräsentant meiner Generation. Tom Hanks spielt
einen Workaholic, einen Antreiber. Bis er dann abstürzt mit seiner
Arbeit. Strandgut Mensch. Buchstäblich im Film. Erst er, und dann auch
noch sein Freund, der tote Flugkapitän. Strandgut Mensch. Ein Begräbnis
am Strand. Tom Hanks sagt auch was, nur zwei Worte: "Das war’s."
Schöner Schock im Kino! Würde ich denn in so einer Situation auch nichts
mehr zusammenbringen? Oder: Wird jemand an meiner Beerdigung auch mal
bloß "Das war’s" sagen? Sonst nichts? Gibt’s denn dann
niemanden, dem noch was anderes einfällt? »Der Herr ist mein Hirte, mir
wird nichts mangeln..., und ich werde bleiben im Hause des HERRN
immerdar.« Psalm 23 wäre nicht schlecht. Oder ein Vaterunser. Ja, alte
Formeln.
Ich glaube, hier wird mit dem Filmheld von »Cast away – Verschollen«
unserer Zeit schlüssig und mutig ein Spiegel vorgehalten: So sieht es
dann aus, bei einer Bestattung: "Das war’s" – Keine
Religion. Kein Gebet. Kein Trost. Kein Anbefehlen eines Gestorbenen in die
Hände Gottes.
Wir Christen glauben: »Gott rief mich ins Leben, und er wird mich
irgendwann wieder zu sich nehmen. Was auch passiert: Wir gehen bei Gott
nicht verloren.«
Ich wünsch‘ mir am Schluss nicht jemand mit seinem: "Das war’s"
– wie ein gigantisches "Verschollen - Cast away". Sondern
lieber – wie es das alte Wort sagt: Heimgegangen.
Samstag, 3. März 2001
Tom Hanks als Repräsentant unserer Zeit
Tom Hanks, der Oskarpreisträger, spielt in
seinem neuen Film »Cast away – Verschollen« einen arbeitswütigen
Expresszusteller. Chuck Noland, wie er in dem Film heißt, den hält es
nicht zuhause. Nicht mal Weihnachten oder gar wegen seiner Verlobung.
Immer angetrieben. Er muss los. So hat Noland hat kein Sitzfleisch, keine
Heimat, kein Land. Logisch, er lässt global arbeiten. Sein Leben ist
Beschleunigung.
Bis dann Chuck Noland mit seiner Fracht abstürzt. Er überlebt als
einziger, wird an eine Südseeinsel gespült. Sein Inselabenteuer beginnt,
ein Robinson-Dasein. Vier Jahre soll es dauern.
Im Gegensatz zu seinem Vorbild Robinson Crusoe fehlt hier in »Cast away
– Verschollen« Gott. Der erste Robinson vom alten Daniel Defoe, der hat
gebetet, immer wieder, all die Jahre auf seiner Insel, dass Gott ihm die
Kräfte gibt, die er braucht, um diese auferlegte schwere Prüfung zu
bestehen.
Aber unser moderner Robinson alias Chuck Noland, der betet nicht, gar
nicht. Das ist mir aufgefallen: Kein Gebet. Weder während des
minutenlangen, realistisch gezeigten Flugzeug-Absturzes, noch später eine
Zwiesprache mit Gott. Nicht mal so ein "Jesus!"-Fluch oder ein
Stoßgebet. Und als er den Freund bestattet, auch kein Gebet, wie das
üblicherweise im Western vorkommt.
Wie steht er die unabsehbare Zeit seiner Paradiesgefangenschaft durch?
Einmal verletzt er sich beim Versuch, Feuer zu machen, und haut seine
blutige Hand im Schmerz auf einen Volleyball. In dem Abdruck sieht er dann
ein Gesicht, eine Art blutiges Smily. Und mit diesem Ballgesicht spricht
er dann, "Wilson" redet er ihn an. Den "Sohn seines
Willens".
Eine Ware als Gottersatz, ein Konsumgut als Ersatzgott. Wilson.
Chuck Noland als moderner Robinson hat auch keine Hoffnung, sondern lässt
ein Paket verschlossen. Das muss er noch zustellen. Dafür lebt er. Nach
seiner Rettung wird er auf die Liebe seines Lebens verzichten, kein
Wunder. Auch nicht, dass er dieses eine Paket noch ausliefert. Aber dann
– dann steht er da, in der Prärie. Was nun? Wie weiter? Wege bis zum
Horizont offen.
Ich höre eine in dem Film Anfrage an mich: Arbeitest Du, um zu leben?
Sind workaholics so geworden, weil ihr Gottvertrauen so klein ist? Wie ist
denn das bei mir, bei Ihnen: Dreht sich unser Leben hauptsächlich um die
Arbeit?